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Zeitzeugen berichten

Deutschland aus der Vogelperspektive

Vogel, Bernhard und Vogel, Hans-Jochen: Deutschland aus der Vogelperspektive. Eine kleine Geschichte der Bundesrepublik, Freiburg i.Br. 20072, 319 S., ISBN 3-451-29280-4, 19,90 €
Dass Politiker am Ende ihres (beruflichen) Lebens Autobiographien oder Memoiren verfassen und Geschichte aus ihrem persönlichen Erleben heraus zu deuten versuchen, ist seit längerem ein beliebtes Mittel, den eigenen Namen wieder mal ins Gespräch zu bringen und nebenbei die meist nicht gerade dürftigen Pensionen aufzubessern. Mal abgesehen vom etwas plumpen Titel-Wortwitz ("aus der Vogelperspektive") unterscheidet sich das Werk von Bernhard und Hans-Jochen Vogel jedoch wohltuend von solchen Ergüssen.

Zum einen lässt der Blick durch die schwarze oder rote Brille auf dieselben Ereignisse die zwei Seiten einer Medaille erahnen. Die Kommentierungen geschichtlicher Ereignisse in Deutschland nach dem II. Weltkrieg besitzen sicherlich eine - wie soll es auch anders sein - jeweils subjektiv-parteipolitische Konnotation, wirken jedoch immer ehrlich und authentisch. Auf politische Plattitüden wird weitgehend verzichtet, sogar kritische Zwischentöne gegenüber der eigenen Partei lassen sich finden. Die Publikation ist keine Chronologie aus gut 50 Jahren BRD und 40 Jahren DDR, sondern eine Erinnerung an Wendepunkte Deutschlands.

Zum anderen wird bereits am Anfang der Lektüre klar, dass die Gebrüder Vogel zu den wohl vom Aussterben bedrohten Staatsmännern gehören, die sich an Grundwerten christlicher Provenienz orientieren und dies auch öffentlich bekunden. Ohne anbiedernd zu wirken, betonen beide ihre katholischen Wurzeln: Bernhard Vogel, der noch vor seiner Zeit als Landespolitiker vor Betriebsräten über die christliche Soziallehre sprach und sich später als Vorsitzender des Zentralkomitees der deutschen Katholiken einen Namen machte. Hans-Jochen Vogel bezeichnet sich selbst als der erste praktizierende Katholik an der Spitze der SPD. So bemerkt der Leser/die Leserin durchaus, wie sehr dieser von persönlichen Begegnungen mit Papst Johannes Paul II. berührt wurde. Auch seine Kontakte mit dessen Nachfolger und Vorgängern lesen sich spannend. Mit Kritik an ihnen persönlich unverständlichen kirchlichen Entscheidungen halten beide Brüder nicht hinter dem Berg, nie ist diese jedoch polemisch oder verletzend.

Eine religiöse Verankerung bewährt sich in Grenzsituationen - oder wird hinweggefegt wie das auf Sand gebaute Haus im Gleichnis Jesu. An den "Herrgott" als "archimedischen Punkt" (147), dessen Ratschlüsse uns nur begrenzt zugänglich sind, glaubt Hans-Jochen Vogel, um die Ermordung Hanns Martin Schleyers einordnen zu können. Für seinen Bruder sind es die Katastrophen der Flugschau in Ramstein und des Amoklaufes in Erfurt, die ihn auf den biblischen Brudermord rekurrieren lassen. So deutet Bernhard V. Politik auch als Fähigkeit, mit den Menschen trauern zu können und ihnen einen Weg zu zeigen, wie das Leben weiter gehen kann (207/208).

Fazit: Ein spannendes Buch für an deutscher Geschichte Interessierte, ein beeindruckendes Buch über zwei Persönlichkeiten der Zeitgeschichte, ein überzeugendes, zuversichtlich stimmendes Buch von Laienchristen "im Dienst an den Menschen für das Wohl des Staates", denen, wie das II. Vatikanische Konzil (GS 75) meint, "die Kirche Anerkennung und Achtung zollt".

Petra Hammann