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Wer leitet die Kirche?

Der Katholische Standortpfarrer Kaufbeuren, Martin Roth
"Wer leitet die Kirche?", beginnt die Prüfung im Fach Kirchenrecht. Im Zweifelsfall ist die Flucht ins Erbauliche stets ein bewährtes Rettungsmittel. Und so antwortet der Kandidat: ,,Jesus Christus, der Herr." Dem verdutzten Professor soll nach einer Schrecksekunde entfahren sein: ,,Bleiben Sie bitte ernsthaft!"

Es muss offen bleiben, ob es sich hier um eine wahre Begebenheit oder um eine fromme Wanderlegende handelt. Solch kleine Geschichten sorgten bei uns Theologiestudenten in Prüfungszeiten stets für gewisse Heiterkeit.

Ich bin mir nicht sicher, wie ich heute auf diese Frage antworten würde. Wahrscheinlich würde ich nicht spontan im Evangelium nachlesen. Eigentlich schade.
Im Blick der Öffentlichkeit erscheint Kirche eher als Behörde mit dem Recht zum Einsammeln von Steuergeldern oder als Betrieb zur Verwaltung von Kindergärten, Pflegeheimen und zur Bewahrung der Kunstwerke. Nun sind das in der Tat wichtige Dinge. Die Kirchenmitglieder müssen sich darauf verlassen können, dass mit ihren Geldern ordnungsgemäß umgegangen wird. Der Staat muss sich darauf verlassen können, dass die Kirchen ihre übernommenen gesellschaftlichen Aufgaben zuverlässig erfüllen. Pacta sunt servanda. Umgekehrt gilt natürlich dasselbe.
Theologisch recht gebildete Leute rümpfen mitunter die Nase über kirchliche Gremien und Strukturen. Wenn man Visionen formuliert, dann sollte es gleichzeitig jemanden geben, der die Kaffeetassen spült. Dass auch in der Küche Gott zu finden ist, das haben schon bedeutende Heilige gesagt, etwa Teresa von Avila.

Wo neue Projekte anzupacken und viele Probleme zu lösen sind, verschwimmt gelegentlich der Blick für das Wesentliche. Die Kirche hat keinen gesellschaftlichen Auftrag, der sich je nach Zeitgeist verändern würde. Geschäftigkeit hat nicht unbedingt etwas mit Glauben zu tun. Das Evangelium braucht tatsächlich Anstrengung, dass es erkannt, gelehrt und befolgt wird. Aber es ist kein Planungsbüro. Das Evangelium ist Jesus Christus.

Ausgerechnet in den säkularen Medien wird seit einiger Zeit über eine Wiederkehr der Religion diskutiert, zumindest über eine Wiederkehr des Interesses an religiösen Phänomenen. Zwar können wir, wenn wir wollen, Gott aus unserem Leben weitgehend heraushalten. Im Zeitalter der Vernunft scheint der Glaube aber doch seinen Platz neu zu finden. Oder hat er ihn eigentlich nie verloren? Nach Peter Prange verkörpern wir Europäer gerne engagiert eine Position und zur gleichen Zeit auch deren Gegenteil: ,,Obwohl ich schon als Student aus der Kirche ausgetreten bin, würde ich zum Beispiel immer noch gerne beten, vor allem, wenn die Dinge schief laufen ... Habe ich aber meine Probleme gelöst bzw. diese sich von selbst, schäme ich mich für meine kindliche Anwandlung, die eines erwachsenen Menschen unwürdig ist, glaube wieder brav an den Urknall statt an einen Schöpfergott und schwöre bei allem, was mir nicht heilig ist, dass ich mich nie wieder an meiner Vernunft versündigen werde." (Werte, S. 95, 2006)
Ich weiß nicht, wer formulierte, der Mensch sei ,,unheilbar religiös". Für die Kirche in Deutschland ist dies Chance und Aufgabe zugleich. Stets muss sie versuchen, ihren Standort nach innen und außen neu zu bestimmen. Dieser Prozess ist nie abgeschlossen; das zeigen Kontroversen der jüngeren Vergangenheit, etwa das Kruzifix-Urteil des Bundesverfassungsgerichts (August 1995).

"Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt" (1 Petr 3,15), verlangt der Apostel Petrus. Glaubensfreiheit ist heute ein verbrieftes Menschenrecht. Bei allen Stellungnahmen zu Kirche, Wirtschaft und Gesellschaft: Der Grund der Hoffnung soll durchschimmern. Ich meine: Dann werden wir Christen entsprechend gefragt werden - nicht nur nach Zölibat oder Kirchensteuer, sondern nach dem lebendigen Gott.

Martin Roth
Der Katholische Standortpfarrer Kaufbeuren