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Lexikon der Ethik: GlückWortgeiz wird der deutschen Sprache gemeinhin nicht nachgesagt. Umso mehr mag es verwundern, wie viele Bedeutungen das eine Wort "Glück" zu tragen hat. Worum es also genau gehen soll, wenn jemand aufs Glück zu sprechen kommt, das ist von vornherein keineswegs klar. Eher schon, dass es dringlich erstrebt wird - und dass die Intensität dieses Strebens sogar zunimmt, wo die Grunderfahrung eines nicht bloß "selbstgemachten" Lebenssinns schwindet.
Zufallsglück und Lebensglück
Die griechische Glücksgöttin Tyche wurde verehrt und gefürchtet: Sie war nämlich nicht nur für günstige Zufälle verantwortlich. Auch das mittelhochdeutsche "gelücke" hat noch beide Möglichkeiten im Blick; die Bedeutungsverengung auf die erwünschte Fügung setzt sich erst auf dem Weg in die Moderne immer mehr durch.
Die Hoffnung auf glückliche Zufälle, günstige Lebensumstände begleitet wohl alle Menschen durchs Leben. Nur wenige dürften darüber aber vergessen, dass diese allein kein glückliches Leben bewirken können. "Glücklich sein" umfasst weit mehr als "Glück haben" - und verlangt, vor allem, auch eigene Anstrengungen. Glück als deren letztes Ziel ist freilich nur formal als einheitliche Größe zu fassen: als "inklusives" Ziel, d. h. als "Inbegriff" eines gelingenden, zufriedenstellenden Lebens. Auf die Frage nach dessen wesentlichen inhaltlichen Bestimmungen gibt es keine unbestritten richtige Antwort. Jedem, der sich und sein Leben ernst nimmt, ist demnach aufgegeben, sich eine eigene, tragfähige Position zu erarbeiten.
In der ethischen Tradition unseres Kulturkreises lassen sich vor allem zwei Arten von Antworten identifizieren: Die eine, typisch für die vormoderne Philosophie bzw. die Theologie, versteht "Lebensglück" oder "Glückseligkeit" (griech.: eudaimonia) als "Erfüllungsglück" oder "Wohlergehen", das sich vorrangig einer umfassenden, objektiv verbürgten Sinnperspektive bzw. einer sogar den Tod überwindenden religiösen Heilserwartung verdankt. Die andere, im neuzeitlichen Denken sich vordrängende, ist auf das "Empfindungsglück" oder "Wohlbefinden" konzentriert, das von der Erfüllung möglichst vieler subjektiven Bedürfnisse, Wünsche und Sehnsüchte erhofft wird. Im einen Fall gilt, in plakativer Zuspitzung, das Motto "Werde, der du bist!", im anderen eher ein "Erfinde dich selbst!" (vgl.: Handbuch Ethik, hg. v. Düwell u. a., Stuttgart/Weimar 2002: 375-380; Mottos: 378).
Glück und Moral
Die Eudaimonia im älteren Sinne ist immer engstens mit der Idee eines auch moralisch guten Lebens verbunden, sei es, dass Tugend und (wahres!) Glück der Sache nach ineinsgesetzt werden (Sokrates, Stoiker), oder dass eine tugendhafte Lebensführung als notwendige oder gar zugleich notwendige und hinreichende Glücksbedingung gilt. Den meisten Menschen dürften jedoch heute, zumindest in unserem Kulturkreis, Konfliktthesen näherliegen. Wer sich dennoch strikt dazu verpflichtet sieht, einem von subjektiven Glücksvorstellungen unabhängigen moralischen Maßstab gemäß zu handeln, muss damit zu leben lernen, immer wieder "der Dumme zu sein" - und deshalb wohl auch die widerständige Hoffnung aufgeben, dass Glück und Glückswürdigkeit sich letztlich doch als verschwistert erweisen werden. Populär und wirkmächtig sind allerdings auch Unvereinbarkeitsthesen, und zwar solche mit dezidiert moralkritischer Pointe. Sie entlarven "die Moral" als lust- und lebensfeindlich (was sie faktisch gewiss allzu oft ist), verkennen dabei aber, dass der Respekt vor dem Glücksstreben aller eben auch "moralisch" ist und entsprechender Regeln bedarf.
Paradoxien des Glücks
An zwei Einsichten sei abschließend noch erinnert, die Illusionen über die "Machbarkeit" des Glücks vermeiden helfen. Der Philosoph Martin Seel hat sie in einem klug komponierten Buch "Zum Glück" (hg. v. Neiman/Kroß, 2004: 237-246) präzise markiert: Glück ist, erstens, wesentlich mit der "Erfüllung ungeahnter Wünsche" verbunden; denn paradoxerweise verhält es sich oft so, dass "ein bestehender Wunsch nicht buchstäblich erfüllt werden darf, um wahrhaft erfüllt zu sein." Zweitens: "Was wir begehren, ist Erfüllung und Begehren." Nur als Personen, denen es noch leidenschaftlich um etwas geht, deren Lebenshorizont noch offen ist, können wir wirklich glücklich sein - Verletzbarkeit inbegriffen.
Klaus Ebeling
Projektleiter Ethik im Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr
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