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Reinhold Robbe: Grenzerfahrungen | | Viele nehmen den Jahresanfang zum Anlass, über die zurückliegenden zwölf Monate nachzudenken. Über gute und weniger gute Ereignisse. Über Höhen und Tiefen. Über alles, was das Leben mit sich bringt. Wenn ich noch einmal zurückblicke auf das vergangene Jahr, fallen mir vor allem Begegnungen mit Menschen ein - mit unglaublich vielen Menschen. Einige davon aber haben mich in besonderer Weise bewegt.
Da ist zum Beispiel der Vater, dessen Sohn, ein Soldat, sich im Dienst das Leben nahm. Dieser Vater erzählt mir von den tiefen Emotionen und quälenden Fragen nach dem Tod seines Kindes. Es gibt keinen Abschiedsbrief. Es gibt keinerlei Hinweise auf die Hintergründe und Motive. Ganz im Gegenteil. Der Vater schildert mir seinen Sohn als fröhlichen, optimistischen jungen Mann, der mitten im Leben stand. Der Sohn hatte seine bisherige Laufbahn hervorragend absolviert. Nur positive Nachrichten. Kein einziges Indiz für irgendwelche Probleme im Leben. Und dann diese Katastrophe. Unfassbar für alle, die den jungen Mann gekannt haben.
Die Kameraden hätten sich in rührender Weise um die Hinterbliebenen gekümmert, berichtet mir der Vater weiter. Und trotzdem bleibt die zentrale Frage nach dem "Warum". Warum hat er sich das Leben genommen? Gab es nicht doch irgendwelche Dinge, die er seinen Eltern nicht erzählt hat oder nicht erzählen konnte? Gab es dienstliche Ereignisse, die ihn belastet haben? Viele offene Fragen, die den Vater umtreiben und nicht zur Ruhe kommen lassen. Ich höre ihm zu, versuche Trost zu spenden und spüre, dass es gut ist, in dieser schwierigen Situation einfach nur für ihn da zu sein - ihm das Gefühl zu geben, mit seinen Sorgen und Fragen nicht allein zu bleiben.
Noch eine weitere Begegnung kommt mir in den Sinn, wenn ich auf das letzte Jahr zurückblicke. Auch diese hat mit einer Grenzerfahrung des Lebens zu tun. Ein junger Soldat, ein versierter und professioneller Könner seines Fachs, wird bei einem Unfall schwer verletzt. Er kann sich zwar zunächst aus eigener Kraft vom Unfallort entfernen, verliert dann aber das Bewusstsein und wird - wie durch ein Wunder - in letzter Minute gerettet. Er schildert mir die Situation in einer sehr sachlichen, nüchternen und fast distanzierten Weise. So, als würde er über einen Kameraden berichten. Ich höre die Schilderung eines Menschen, der den Tod vor Augen und mit dem Leben abgeschlossen hatte. Umso mehr beeindruckt mich die Tatsache, dass dieser Soldat schon nach wenigen Wochen wieder seinen Dienst verrichtet. Ich erfahre, was Gottvertrauen bedeuten kann: In einer ausweglosen Situation nicht aufgeben, sondern das eigene Schicksal in Gottes Hände zu legen.
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