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Franz Stock, Teil 3: Rektor des "Stacheldrahtseminars" in Chartres und Wegbereiter deutsch-französischer Aussöhnung

Der päpstliche Nuntius in Paris, Erzbischof Roncalli, im Gespräch mit Franz Stock im Lagerseminar
Fortsetzung und Abschluss von Kompass. Soldat in Welt und Kirche 12/07, S. 14-15, und 01/08, S. 12-13:

Als die ersten Überlegungen der Siegermächte, speziell in Frankreich, nach dem II. Weltkrieg entwickelt wurden, den kriegsgefangenen Theologiestudenten und Ordensaspiranten eine Möglichkeit der Weiterführung ihres Studiums innerhalb eines Gefangenenlagers einzurichten, da schien der unscheinbare Franz Stock, obwohl von angeschlagener Gesundheit, prädestiniert, das von den französischen Behörden initiierte Seminar zu leiten. "Abbé Stock" nannte man ihn schon bald, und wenn er auch den wohlklingenden Titel "Aumônier commandant" erhielt, musste er in die Tatsache einwilligen, seinen Dienst lediglich als französischer Kriegsgefangener versehen zu können.

Das erste Seminar wurde im Dépôt 51 des Lagers Orléans eingerichtet. Als der neue Rektor dort eintraf, fand er bereits 28 "Studenten" vor. Von Anfang an war einerseits die ausreichende Versorgung der Seminaristen ein Problem, andererseits musste die Einrichtung mit ständigen Anfeindungen, Schikanen und Störversuchen von außen leben, denn das Verständnis für jede Sonderbehandlung dieser "Schmarotzer" schwand in dem Maße, in dem gerade die Grausamkeiten der Deutschen (z. B. Konzentrationslager) ruchbar wurden. Mitte Mai, einen Monat nach Eröffnung des Seminars, waren 40 Seminaristen beisammen, aber man rechnete nach Abschluss der Sammelaktion mit über 300. Vorbeugend wurden mit dem Segen der kirchlichen Autoritäten Klöster und Seminarien in Frankreich um Unterstützung in Form von CARE-Paketen gebeten. Die Zahl der Lagerinsassen betrug im August 1945 bereits 119.

Trotz aller Einschränkungen der Anfangszeit konnte in der „Kapelle“ in Chartres feierlich die Heilige Messe gefeiert werden
Am 17. August 1945 musste nicht zuletzt aus Platzgründen die gesamte Einrichtung nach Chartres ins dortige Dépôt 501 verlegt werden: 106 Seminaristen, sechs Priester und sieben Ordensbrüder. Mit dem Segen des Chartrenser Ortsbischofs ging man ans Werk. Eine große Doppelhalle wurde unterteilt, deren eine Hälfte als Schlafsaal mit mehrstöckigen Betten eingerichtet wurde. Die andere Hälfte diente, wiederum je zur Hälfte, als Speisesaal, der auch als Hör- und Studiersaal genutzt werden musste, und als Kapelle, die der künstlerisch nicht unbegabte Franz Stock höchstselbst an der Stirnseite ausmalte. Der Nuntius in Frankreich, Angelo Roncalli, der spätere Papst Johannes XXIII., besuchte das "Stacheldrahtseminar" mehrfach und unterstützte das Vorhaben deutlich mehr, als es von ihm erwartet werden konnte. Nach Schließung des Seminars am 5. Juni 1947 hatten 949 Dozenten, Priester, Ordensbrüder und Seminaristen diese außergewöhnliche Hochschule in den gut zwei Jahren ihres Bestehens in Orléans und Chartres insgesamt durchlaufen. Beim Abtransport waren es noch 369.
Abbé Franz Stock, der noch im Dezember 1947 den theologischen Ehrendoktor der Katholischen Fakultät der Universität Freiburg verliehen bekommen hatte, starb am 24. Februar 1948 einsam und als Kriegsgefangener in Paris. Erst 1963, am Tag, nachdem die französische Nationalversammlung den Élyséevertrag gebilligt hatte, konnte sein Leichnam eine würdige Ruhestätte in der neuen Kirche St. Johann-Baptist in Rechèvres/ Chartres ganz in der Nähe "seines" Seminars finden. Immer deutlicher ging die von ihm ausgestreute Saat der deutsch-französischen Freundschaft auf. Nuntius Roncalli hatte bei der Beerdigung am 28. Februar 1948, die nicht öffentlich bekannt gegeben werden durfte, da es sich um einen verstorbenen Kriegsgefangenen gehandelt hatte, den prophetischen Ausspruch getan: "Abbé Franz Stock: das ist kein Name, das ist ein Programm."

Das „Refektorium“ – Speise-, Studier- und Hörsaal in einem
Ein einzigartiges Projekt planen drei Franz-Stock-Vereinigungen in Deutschland und Frankreich im französischen Le Coudray bei Chartres: In dem ehemaligen "Stacheldrahtseminar" soll eine Gedenkstätte der deutsch-französischen Aussöhnung in einem 70 x 20 m großen, denkmalgeschützten Gebäude entstehen. Das Europäische Begegnungszentrum soll nicht nur Geschichte erlebbar machen, sondern den interkulturellen Austausch fördern und die Annäherung von Menschen unterschiedlicher Kulturen ermöglichen, wie es Franz Stock vorgelebt hat.

Mit der Begegnungsstätte im ehemaligen Lager in Chartres wird ein Ort der Erinnerung sowie der Hoffnung in Europa geschaffen. Die friedenspolitische Arbeit mit Jugendlichen soll ein Schwerpunkt sein. Als Veranstaltungsort für Tagungen und Kongresse, als Anlauflaufstelle für Pilgerfahrten sowie durch die Einbindung in das touristische Programm der Stadt Chartres ermöglicht die Begegnungsstätte zukünftig vielen Menschen nicht nur die Auseinandersetzung mit Franz Stock, sondern auch mit aktuellen Fragestellungen nach dem Zusammenleben in einem Europa, das 27 Staaten umfasst.
Außerdem ist eine Wanderausstellung über das Franz-Stock-Komitee für Deutschland in Arnsberg abrufbar, die das Andenken an Franz Stock, sein Leben und Wirken wach halten soll.

Der Höhepunkt der diesjährigen Gedenkfeiern für Abbé Stock wird an seinem 60. Todestag, dem 24. Februar, sein. An diesem Tag werden in der Kathedrale von Chartres Bischof Pansard von Chartres und Erzbischof Becker aus Paderborn gemeinsam eine Messe im Gedenken an einen der eindrucksvollsten Wegbereiter der deutsch-französischen Aussöhnung feiern, an der auch NRW-Ministerpräsident Rüttgers teilnehmen wird.

P. Robert Jauch OFM, Jerusalem

Link dazu

franz-stock.eu