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Ethik und Recht in der Abwehr des internationalen Terrorismusvon Prof. Dr. Heiner Bielefeldt | Vor der Humboldt-Universität Berlin | Es geht um die Glaubwürdigkeit! "Ohne Sicherheit", schreibt Wilhelm von Humboldt, "vermag der Mensch weder seine Kräfte auszubilden, noch die Früchte derselben zu genießen." Und er folgert daraus: "Ohne Sicherheit ist keine Freiheit."
Dass unter Verhältnissen alltäglicher terroristischer Bedrohung Menschen nicht frei und ihrer Menschenwürde gemäß leben können, ist offensichtlich. Menschenrechtsorganisationen berichten, dass in den umkämpften Gebieten Iraks oder Afghanistans Eltern ihre Kinder oftmals kaum aus dem Haus lassen, aus Angst vor Entführung, Erpressung und Vergewaltigung. Den betroffenen jungen Menschen - vor allem Mädchen und jungen Frauen - bleiben vielfach ihre Bildungsrechte und damit womöglich für den Rest ihres Lebens Berufschancen und gesellschaftliche Beteiligungsmöglichkeiten verwehrt. Wer um das eigene Leben oder das Überleben seiner Angehörigen ständig Angst haben muss, wird auch wenig geneigt sein, an öffentlichen Debatten mitzuwirken und sich zu politisch umstrittenen Themen zu äußern. Politische Unfreiheit ist das Resultat. Die anarchischen Verhältnisse in Teilen Sudans werden von Sklavenhändlern ausgenutzt, unter deren skrupellosen Machenschaften vor allem Minderheitenbevölkerungen leiden.
Ohne wirksame staatliche Sicherheitspolitik gibt es in der Tat keine Freiheit, keine Garantie der Menschenrechte, kein menschenwürdiges Leben. Insofern hat Wilhelm von Humboldt zweifellos Recht. Allerdings gilt im Gegenzug genauso: Ohne Achtung der Menschenwürde und der Menschenrechte kann es keine Sicherheitspolitik geben, die das Prädikat der Rechtsstaatlichkeit verdient. In Artikel 1 des Grundgesetzes bekennt sich das Deutsche Volk (in einer Formulierung, die sich an die UNO-Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 anlehnt) zu den Menschenrechten "als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt". In den Menschenrechten manifestiert sich die gebotene Achtung vor der Menschenwürde, die nach biblischem Verständnis darin gründet, dass jeder Mensch als Ebenbild Gottes geschaffen worden ist.
| Am 15. Februar 2006 entschied der
1. Senat des Bundesverfassungsgerichts,
dass § 14 Absatz 3 des Luftsicherheitsgesetzes
gegen das
Grundrecht auf Leben (Artikel 2
Absatz 2 Grundgesetz) und gegen
die Menschenwürde (Artikel 1
Grundgesetz) verstößt und deshalb
in vollem Umfang verfassungswidrig
und nichtig ist. | Die grundlegende Bedeutung, die das Grundgesetz der Menschenwürde und den Menschenrechten zuerkennt, schließt eine Politik des rücksichtslosen "safety first" aus. Wer eine Rangordnung der Verhältnisse aufmacht, wonach es zunächst darum ginge, Sicherheit "um jeden Preis" - auch um den Preis einer Vernachlässigung oder Verletzung der Menschenrechte - herzustellen, unterminiert die Glaubwürdigkeit rechtsstaatlicher Sicherheitspolitik. Die Menschenrechte sind im Rechtsstaat nicht die irgendwann einmal fällige Dividende erfolgreicher Sicherheitspolitik, sondern fungieren als der hier und jetzt geltende Maßstab staatlicher Legitimität. Die Menschenrechte haben deshalb einen herausgehobenen rechtlichen Status, der sie der Verrechnung mit sonstigen Interessen - auch mit politischen Sicherheitsinteressen - weitgehend entzieht bzw. etwaige Abwägungen zumindest unter strenge Bedingungen stellt.
Zwar können die meisten Menschenrechte unter näher bestimmten Bedingungen bis zu einem gewissen Grad eingeschränkt werden. Nicht jede Einschränkung ist per se schon eine Verletzung der Menschenrechte, und nicht jeder Eingriff in die Freiheitsrechte der Menschen muss als deren Missachtung gewertet werden. Etwaige Einschränkungen bzw. Eingriffe sind in einem den Menschenrechten verpflichteten Rechtsstaat aber gerade nicht beliebig möglich; sie unterliegen keineswegs einem generellen sicherheitspolitischen Ermessen.
Eine zentrale Rolle für die schwierige Unterscheidung zwischen legitimen und illegitimen Einschränkungen spielt das rechtsstaatliche Verhältnismäßigkeitsprinzip. Es verlangt, dass etwaige Einschränkungen bzw. Eingriffe einem wichtigen und legitimen Zweck dienen sowie für die Erreichung dieses Zwecks geeignet und erforderlich sind. Das Kriterium der "Geeignetheit" soll bloß symbolische Maßnahmen, die womöglich lediglich dazu dienen mögen, politische Entschlossenheit zu demonstrieren, ausschließen; und das Kriterium der "Erforderlichkeit" verlangt die beständige Suche nach dem mildesten Mittel zur Erreichung eines sicherheitspolitischen Ziels. Das rechtsstaatliche Verhältnismäßigkeitsprinzip soll somit dafür sorgen, dass etwaige Einschränkungen der Menschenrechte nicht in einen Relativismus münden, in dem schließlich alles beliebig abwägbar wird. Es wird ergänzt durch andere rechtsstaatliche Prinzipien, zum Beispiel das Prinzip, dass Menschen die Möglichkeit haben müssen, sich gegen Eingriffe in ihre Rechte gerichtlich zur Wehr zu setzen.
| Fluggastkontrolle
am Flughafen
Berlin-Schönefeld | Einige Menschenrechtsnormen gelten darüber hinaus ohne jede Einschränkung. Dazu zählt insbesondere das Verbot von Folter und grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung oder Bestrafung. Dieses Verbot kann nicht einmal in sicherheitspolitischen Notsituationen eingeschränkt werden; jede Einschränkung und jeder Eingriff sind nach internationalem Recht kategorisch ausgeschlossen.
Der katholische Theologe Jörg Splett hat die Folter als "Aufhebung der Willensfreiheit (auf physischem oder psychischem Weg) bei Erhaltung des Bewusstseins" definiert. Die beiden Komponenten - Aufhebung der Willensfreiheit und Erhaltung des Bewusstseins - sind dabei zusammen zu sehen. Anders als etwa bei einer ärztlichen Operation unter Narkose, in der Willensaufhebung und Bewusstseinsaufhebung miteinander einhergehen, besteht das Perfide der Foltersituation darin, dass der Betroffene die Ausschaltung seiner Willensfreiheit bewusst erlebt und erleben soll. Er wird gleichsam Zeuge seiner eigenen Verdinglichung zu einem vollends manipulierbaren Bündel von Schmerz, Angst und Scham und soll genau daran zerbrechen. Die Folter bedeutet deshalb eine unmittelbare und vollständige Negierung der Achtung der Menschenwürde.
In einem berühmten Urteil hat der Oberste Gerichtshof Israels im Jahr 1999 die zentrale Bedeutung der Einhaltung des Folterverbots für die Glaubwürdigkeit rechtsstaatlicher Sicherheitspolitik herausgestellt. Auch im Kampf gegen terroristische Bedrohung darf der Staat sich nicht selbst auf das Niveau von Terroristen begeben, sondern bleibt an elementare Rechtsstandards gebunden. Diese Bindung, so der Israelische Gerichtshof, ist zuletzt eine Quelle von Stärke, nämlich von Selbstbewusstsein und Glaubwürdigkeit. Auch in den USA ist in den letzten Jahren die Einsicht gewachsen, dass die systematische Verweigerung von Menschenrechten, für die symbolisch das System "Guantanamo" steht, der Glaubwürdigkeit - und damit auch der Effizienz - der Terrorismusbekämpfung enorm geschadet hat. Die längst auch von führenden Militärs geforderte Schließung des Lagers in Guantanamo Bay und die Abkehr von der damit verbundenen Politik eines "Feindrechts" ist zu allererst ein Gebot der Menschenrechte. Sie ist darüber hinaus aber auch sicherheitspolitisch vernünftig.
In einem Rechtsstaat steht auch die Sicherheitspolitik stets im Dienst der Menschenrechte. Damit sind staatlichem Handeln Grenzen gesetzt, deren strikte Beachtung zugleich die Legitimität des Staates stärkt. Nur wenn der Rechtsstaat im Kampf gegen mutmaßliche "Feinde der Freiheit" konsequent seinen eigenen menschenrechtlichen Normen und Prinzipien treu bleibt, wahrt er seine Glaubwürdigkeit, die wiederum die Voraussetzung dafür bildet, dass der Staat das Vertrauen der Menschen gewinnen kann. Dieses Vertrauen aber erweist sich auf lange Sicht als die wichtigste Stütze im Kampf gegen den Terrorismus.
Prof. Dr. Heiner Bielefeldt
Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte
institut-fuer-menschenrechte.de
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