17 
           

Reinhold Schneider, ein Rufer in der Wüste der Gottesferne

Zum 50. Todestag des Schriftstellers, christlichen Moralisten und "religiösen Sanitäters"

Die Leiterin des Goethe-Instituts einer Großstadt fragte auf Vorschläge, doch etwas zu Reinhold Schneider aus Anlass seines 50. Todestags am 6. April 2008 anzubieten, verdutzt zurück: "Wer ist Reinhold Schneider?

"Der am 13. Mai 1903 geborene Hotelierssohn aus Baden-Baden hatte in der Zeit der Wiederbewaffnung der Bundeswehr nach dem Zweiten Weltkrieg eindeutig dagegen Position bezogen und sich dafür Spott und Hohn von zahlreichen Zeitgenossen, u. a. keinem geringeren als Konrad Adenauer selbst, eingehandelt. Mit Essays und Vorträgen gegen die atomare Aufrüstung machte er zudem von sich reden und - das führte gar zu einem "Fall Reinhold Schneider" - hatte auch Kontakte zu ostdeutschen Verlagen unterhalten, was ihm den Vorwurf kommunistischer Konspiration eingebracht hatte. Aber das allein darf nicht ausreichen, um ihn heute dem Vergessen zu überantworten.

Nach dem Abitur begann er eine landwirtschaftliche Lehre, die er aber abbrach, um eine kaufmännische Lehre in Dresden zu absolvieren. Der durch den wirtschaftlichen Ruin ausgelöste Freitod des Vaters stürzte auch Reinhold in eine tiefe persönliche Krise. 1922 überlebte er einen eigenen Selbstmordversuch relativ glimpflich. 1923-1928 verdingte er sich in einem Dresdner Kunsthaus und fand Halt in der wesentlich älteren Anna Maria Baumgarten (1881-1960), mit der er zeitlebens, in platonischer Liebe verbunden, zusammen wohnte.

Ab 1928 arbeitete er als freier Schriftsteller in Dresden und Potsdam, wobei ihn ausgedehnte Reisen nach Portugal - dessen Sprache neben anderen europäischen er eigens lernte, Italien, Spanien und England führten. Seine ersten Tagebücher zeugten noch von seiner Vertrautheit mit Philosophen wie Schopenhauer und Nietzsche und deuteten seine vom Vater ererbte Schwermut an. Aus seinen Reisen gingen bedeutsame historische Monographien u. a. über Philipp II., Fichte, die Hohenzollern, über Größe und Macht des (britischen) Inselreichs und schließlich über Bartolomé de "Las Casas vor Karl V." (Leipzig 1938) hervor. Mit diesem bekannteren Buch und zahlreichen kleineren Schriften über Heilige erhob er auch Anklage gegen religiös motivierten Machtmissbrauch, Fremdenhass, ja Rassenwahn, den Schneider schon früh bei den aufkommenden Nationalsozialisten ausgemacht hatte.

Mit seiner Übersiedlung nach Freiburg fand er den katholischen Glauben seiner Kindheit wieder. Alltäglich hatte er den Wunsch, den Kirchen seinen Besuch abzustatten und auch sonntags zur Heiligen Messe zu gehen, aber erst die Beichte bei einem Franziskaner in Freiburg-Günterstal ließ ihn alle in den vergangenen 25 Jahren angestaute Unsicherheit abschütteln und neu und bewusst Katholik aus tiefster Überzeugung werden. In den theologischen Schriften und vor allem in seinen Gedichten, hier besonders den Sonetten, deren wahrer Meister er wurde, wandte er sich an sein zunehmend vom Krieg geschwächtes deutsches Volk.

Sein "innerer Widerstand", sein klares Nein gegen die gottlosen Verursacher des Krieges, ließ ihn aus Deutschland doch nie weglaufen. Angesichts der Tragik und der Trümmer entdeckte er die Bedeutung der christlich-abendländischen Tradition neu und näherte sich dem Kreuz Christi als dem einzigen Schlüssel zum Ausharren im Leben und zur Hoffnung auf eine lichtvolle Zukunft. Seine dichterische Arbeit während der Kriegsjahre umschrieb Schneider selbst einmal als "religiöses Ringen unter der Gewalt verhassten Befehls", als "Fragen und Suchen nach ... dem Sinn unfassbarer Ereignisse, Leiden und Verbrechen". Eine seiner bekanntesten und am weitesten auch an der Front verbreiteten religiösen Trostschriften wurde "Das Vaterunser".

Ein anderer Titel aus diesen Jahren "Das Gottesreich in der Zeit" war eigentlich "nur" eine Sammlung von Sonetten. Der illegale Druck (als Manuskript 1944) des Buches wurde möglich durch den beherzten Einsatz von Johannes Kessels, dem späteren Caritasdirektor des Ruhrbistums und seinerzeit, 1942/43, Kriegspfarrer in Krakau, im besetzten Polen. Das an die Feldgeistlichen, Divisions- und Lazarettpfarrer aller Kriegsfronten verschickte Buch fand erstaunlich schnell Einzug in die Herzen der Menschen. Schneiders Werk wurde auch durch Abschriften weiterverbreitet.

Daneben unterhielt er als "religiöser Sanitäter" - so bezeichnete er sich einmal selbst - einen umfangreichen Briefwechsel mit Frontsoldaten, Gefangenen und anderen Menschen, die unter dem Grauen des Krieges leiden mussten. Seine Sonette richteten die Zweifelnden auf, trösteten die Schlaflosen und drangen bis in das Elend der Gefangenenlager und der Bombenkeller vor. Als er nach dem "Gottesreich in der Zeit" selbst noch 1945 wegen Hochverrats angeklagt wurde, kam es wegen des bevorstehenden Kriegsendes nur nicht mehr zur Verurteilung.

Nach dem Krieg entfaltete Schneider noch reiche Tätigkeit als Redner und Autor, vor allem biographischer Schriften. Der "Fall R. S." wurde quasi erst mit der von Bundespräsident Theodor Heuss vorgeschlagenen Aufnahme in die Friedensklasse des Ordens "Pour le Mérite" beendet. Zwei Ehrendoktorwürden aus Freiburg und Münster ragen aus den zahlreichen Preisen und Ehrungen heraus. Besondere Beachtung fand die Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 1956. Das Tondokument seiner Rede in der Frankfurter Paulskirche offenbart bei allem tragischen Tonfall einen großen Denker, Gelehrten und christlichen Moralisten im besten Sinne.

Am 6. April 1958, Ostersonntag, starb Reinhold Schneider nach schwer leid- und schmerzgeprüftem Leben an den Folgen eines Zusammenbruchs auf offener Straße in Freiburg und wurde in seiner Geburtsstadt Baden-Baden beigesetzt.

P. Robert Jauch OFM, Jerusalem


Allein den Betern

Allein den Betern kann es noch gelingen,
Das Schwert ob unsern Häuptern aufzuhalten
Und diese Welt den richtenden Gewalten
Durch ein geheiligt Leben abzuringen.

Denn Täter werden nie den Himmel zwingen:
Was sie vereinen, wird sich wieder spalten,
Was sie erneuern, über Nacht veralten,
Und was sie stiften, Not und Unheil bringen.

Jetzt ist die Zeit, da sich das Heil verbirgt,
Und Menschenhochmut auf dem Markte feiert,
Indem im Dom die Beter sich verhüllen,
Bis Gott aus unsern Opfern Segen wirkt,
Und in den Tiefen, die kein Aug entschleiert,
Die trocknen Brunnen sich mit Leben füllen.

(1936)


Lebenslauf

Die Nähe sah ich und die Ferne prangen,
Ich durfte Städte ohne Zahl durchmessen
Und habe viel des Herrlichsten besessen,
Allein am Süden hat mein Herz gehangen.

Doch hab ich mehr entbehrt noch als empfangen
Und nie im Glücke meinen Gram vergessen;
An mein erschauernd Herz ein Herz zu pressen,
Das sollt´ ich nie auf dieser Welt erlangen.

Hart war die Zeit; sie warf auf ihre Waage
Die Täter und die Träumer auch und rührte
Die Toten an mit kaltem Richterschwerte.
Ich dankte Gott für meine dunkeln Tage,
Und leichter atmend, seit das Licht ich spürte,
Verließ ich ohne Schmerzen diese Erde.

(1935, gedruckt 1954)