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Heraus aus den ideologischen Schützengräben!

Wege zur Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsarbeit

von Prof. Dr. Bernhard Sutor, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt

Vor fünfzig, vielleicht auch noch vor dreißig Jahren war mancher Arbeiter stolz, sagen zu können: "Meine Frau braucht nicht zu arbeiten." Vor hundert Jahren galt "Frauenarbeit" als ein Übel, das sozialpolitisch zu bekämpfen sei. Aber welcher Vater sagt heute noch zu seiner Tochter: "Du brauchst kein Abitur, du heiratest ja doch." Im Wandel der Aussagen spiegelt sich der Wandel der sozialen Verhältnisse. Dennoch haben wir, zumal auch in der Kirche, diesen Wandel noch nicht bewältigt. Wie wären sonst die ideologischen Grabenkämpfe zu erklären, die seit einiger Zeit um den beginnenden Ausbau von Krippenplätzen für Kleinkinder geführt werden?

Geschichtlich- strukturelle Wandlungen

Die früher als "normal" empfundene bürgerliche Familie mit ihrer klaren Rollenteilung zwischen dem erwerbstätigen Mann und der Hausfrau und Mutter ist keineswegs sehr alt. Erst die industrielle Revolution des 19. Jahrhunderts hat für die Mehrzahl der Menschen zur Trennung zwischen Familie und Arbeitswelt geführt. Zuvor war die Familie in der Regel eine Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft auf einem Bauernhof, in einem Handwerks- oder Handelsbetrieb. In ihr waren alle Mitglieder, wenn auch in unterschiedlicher Weise, "erwerbstätig": die Eltern, die he-ranwachsenden Kinder, die Großeltern, Verwandte, die mangels Aus-kommens keine eigene Familie gründen konnten. Die Hausfrau und Mutter war also selbstverständlich berufstätig, die Kinder hatten in aller Regel mehrere Bezugspersonen.

Dass heute Frauen in zunehmendem Maß erwerbstätig sind und es auch sein wollen, hat viele Gründe, die hier nicht dargestellt werden können. Zwei Grundbedingungen dafür sollten wir jedoch zur Kenntnis nehmen, weil wir nicht mehr hinter sie zurückgehen können und es auch nicht wollen. Das eine ist die volle Gleichberechtigung der Frauen in Ehe und Familie, in Gesellschaft und Politik. Sie ist grundrechtlich gesichert. Das andere ist die gleichwertige Ausbildung der Mädchen und Frauen. Die damit erworbenen Möglichkeiten wollen die Frauen auch nutzen. Das gilt auch in den kirchlichen Bildungseinrichtungen als selbstverständlich. Welcher Bischof würde heute, auch wenn er vielleicht über die Auflösung der herkömmlichen Familie klagt, ein begabtes Mädchen fragen: "Wozu brauchst du Abitur?"
Die Frage, wie unter diesen neuen Bedingungen Familie aussehen und gelebt werden kann, ist neu und ist noch nicht beantwortet. Wir müssen alle nach Antworten erst suchen, auch die Kirche. Sicher dürfte aber sein, dass es kein Einheitsmodell gibt, sondern unterschiedliche Wege auch zur Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsarbeit. Vor allem müssen Antworten gesucht werden von Wirtschaft und Politik.

Familienfreundliche Wirtschaft

Die Wirtschaft trägt eine Hauptverantwortung. Von ihr ist im Zuge der industriellen Revolution die zunehmende Trennung von Familie und Arbeitswelt ausgegangen. Von ihr können und müssen heute neue Wege gesucht werden, diese Trennung wenigstens zu mildern. Betriebe und Unternehmungen müssen viel stärker als bisher wahrnehmen, dass ihre Mitarbeiter oft auch Eltern sind, dass andere es gern werden möchten und dass beide Gruppen es gut sein möchten. Es gibt dazu viele Wege, die in nicht wenigen Unternehmungen schon gegangen werden. Die entsprechenden Stichworte lauten: flexible, elternfreundliche Arbeitszeiten; Teilzeitarbeit und Telearbeit; Erleichterung der Rückkehr in den Beruf nach Elternzeit; familien-freundliche Personalpolitik; Beratungs-, Service- und auch (in größeren Unternehmen) Betreuungseinrichtungen. Auch Betriebsräte und Tarifparteien müssen Familienfreundlichkeit zu einem Hauptkriterium ihrer Tätigkeit machen.

Kluge Unternehmenspolitik erkennt im Übrigen mehr und mehr, dass Familienfreundlichkeit in ihrem eigenen Interesse liegt. Elternkompetenzen sind auch in der heutigen Arbeitswelt hilfreich. Die Wirtschaft ist auf gutes "Humanvermögen" angewiesen, und dieses besteht nicht nur in funktionaler Ausbildung, sondern in menschlichen, sozialen Qualitäten, die in guten Familien wachsen. Es gibt nicht wenige Unternehmen, die vorrechnen können, dass Familienfreundlichkeit auch finanziell positiv zu Buche schlägt.

Aufgaben der Politik

Die Politik hat kein verbindliches Familienmodell vorzugeben, sie muss vielmehr die rechtlichen und strukturellen Rahmenbedingungen so gestalten, dass Familien sich entfalten und ihre Aufgaben erfüllen können. Der freiheitliche Rechtsstaat soll seine Bürger nicht gängeln, er darf nicht bestimmte Lebensformen bevorzugen oder benachteiligen. Deshalb gilt heute Wahlfreiheit allgemein als wünschenswert.

Manche sehen die Ideallösung für Wahlfreiheit in einem von der Allgemeinheit zu zahlenden Elterngehalt. Die Begründung ist ebenso einfach wie einleuchtend: Der Beruf der Mutter (im Regelfall ist sie gemeint) sollte der Gesellschaft wenigstens so viel Wert sein wie die durchschnittliche Erwerbsarbeit. Wie immer, so stecken auch hier die Probleme im Detail. Es gibt ganz unterschiedliche Modelle von Elterngehalt, auch für die Berechnung der Kosten. Die Folgerungen für das Steuer- und Sozialabgaben-System werden ebenso unterschiedlich beurteilt. Es überrascht deshalb nicht, dass es z. B. auch unter den katholischen Verbänden keineswegs eine einheitliche Meinung zum Elterngehalt gibt. Selbst wenn wir diese hätten, blieben doch gewichtige Fragen. "Gehalt" setzt in der Marktgesellschaft ein Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Verhältnis voraus, mit kontrollierbaren, einklagbaren Rechten und Pflichten. "Wer zahlt, schafft an." Wollen wir den Staat zum Arbeitgeber der Eltern machen?

Deshalb sieht wohl die Mehrheit im katholisch-sozialen Bereich im weiteren Ausbau eines Familienleistungsausgleichs den eher möglichen Weg zur Wahlfreiheit. Die Stichworte dazu heißen: Freibeträge in der Einkommensteuer, Kindergeld, Betreuungsgeld; Familienelemente in der Mehrwertsteuer; Anrechnung von Familienzeiten in den Sozialversicherungen. Wenn die Politik in diesen Bereichen größere Schritte tut als bisher, dann können diese Leistungen die gleiche Höhe erreichen wie die Kosten für außerhäusliche Kinderbetreuung. Erst damit wäre Wahlfreiheit erreicht.

Solange dieses Ziel nicht erreicht ist, ist gewiss auch Kritik an forcierter "Krippenpolitik" berechtigt, wenn diese einseitig ist. Aber wo die Kritik aus purer Ablehnung außerhäuslicher Kleinkindbetreuung kommt, macht sie sich selbst unglaubwürdig; denn Wahlfreiheit der Eltern setzt voraus, dass genügend Betreuungsplätze da sind, die eine Wahl ermöglichen. Es ist gewiss keine ideale Lösung, ein- oder zweijährige Kinder in außerhäusliche Betreuung zu geben; aber Eltern, die auf solche Betreuung angewiesen sind, haben ohne diese erst recht keine Lösung. Über Vor- und Nachteile außerhäuslicher Betreuung von Kleinkindern sollte man nicht mit dem Holzhammer, sondern mit Vorsicht urteilen. Nach allem, was wir heute wissen können, kommt es entscheidend sowohl auf die Qualität der Eltern-Kind-Beziehung als auch auf die Qualität der Betreuung in den Einrichtungen an. Hier öffnet sich ein weites Feld gerade auch für kirchliche Erziehungs-, Ausbildungs- und Betreuungsarbeit.

Unsere Überlegungen münden in die Erkenntnis: Es gibt keinen Königsweg zur Vereinbarung von Familien- und Erwerbsarbeit; aber es gibt viele Wege, die kooperativ von allen Beteiligten gegangen werden sollten. Die Beteiligten sind die Eltern selbst, die sozialen Gruppen und Netzwerke am jeweiligen Ort, die kommunalen und kirchlichen Einrichtungen; die Kindergärten und Schulen; die Betriebe und Unternehmungen. Nur deren Zusammenwirken kann familienfreundliche Gesellschaft erreichen.

Prof. Dr. Bernhard Sutor,

bis Januar 2008 Direktor des Zentralinstituts für Ehe und Familie in der Gesellschaft (ZFG)
an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt