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Ethikausbildung in der Bundeswehr: warum und wie?

von Prof. Dr. Thomas Bohrmann, Institut für Theologie und Ethik, Universität der Bundeswehr München

Vor dem Hintergrund der veränderten sicherheitspolitischen Situation in Europa und der Welt hat sich das Aufgabenspektrum der deutschen Streitkräfte seit mehr als einem Jahrzehnt grundlegend verändert.

Die Bundeswehr ist eine Einsatzarmee, die weltweit agiert und sich an internationalen Friedensmissionen weit reichend beteiligt. Mit dem Begriff der Transformation wird die neue Einsatzrealität zu umschreiben versucht. Die Transformation der Bundeswehr stellt die Antwort auf die neuen Herausforderungen dar und umfasst, so das aktuelle Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr, „alle Dimensionen der Streitkräfte und ihrer Verwaltung – Fähigkeiten, Umfänge, Strukturen, Stationierung, Personal, Material, Ausrüstung und Ausbildung. Sie bedeutet das Ende statischer Streitkräfteplanungen und begründet einen fortdauernden Prozess der Anpassung.“ (Weißbuch 2006, S. 102)

Gerade eine solche Armee ist weiterhin auf professionelle und handlungssichere Kämpfer angewiesen, die sich problemlos in neue Kontexte einfügen können. Allerdings müssen die hoch spezialisierten militärischen Qualifikationen der Soldaten und Soldatinnen zunehmend durch soziale, interkulturelle und vor allem moralische Kompetenzen ergänzt werden.

Da die klassischen Moralinstanzen wie Familie, Schule und Kirche an Bedeutung verlieren, wird die Tradierung von Moral auch für die nachfolgenden Soldatengenerationen immer schwieriger. Eine verpflichtende Ethikausbildung für alle Dienstgradgruppen könnte unter den veränderten sicherheitspolitischen und gesellschaftlichen Bedingungen dabei helfen, ein neues soldatisches Berufsethos zu vermitteln und damit eine nachhaltige militärische Berufsethik zu institutionalisieren.

Eine Ethikausbildung darf sich allerdings nicht darauf beschränken, allein die Grundsätze der Inneren Führung zu wiederholen. Der „Staatsbürger in Uniform“, der ganz auf dem Boden der Normen des Grundgesetzes steht und der vor diesem Hintergrund seinen Auftrag auszuüben hat, muss nicht nur das zugrunde liegende Wertesystem unseres Staates kennen, sondern ebenso die ethische Begründung einer auf den Menschenrechten basierenden Gesellschaftsordnung verinnerlicht haben. Grundsätzlich soll eine militärische Berufsethik den (selbst-)verantwortlichen Soldaten im Blick haben.

Dass die Bundeswehr eine Ethikausbildung dringend benötigt, wurde den Mitarbeitern des Instituts für Theologie und Ethik an der Universität der Bundeswehr München im November 2006 durch eine konkrete Anfrage aus der Truppe deutlich vor Augen geführt. Die für die einsatzvorbereitende Ausbildung zuständige 10. Panzerdivision aus Sigmaringen wollte damals ihre Kontingentsoldaten aufgrund der veröffentlichten „Schockfotos“ aus Afghanistan nochmals für ethische Fragestellungen sensibilisieren. Spontan wurde die Unterstützung zugesagt. Neun Offiziere aus dem unterstellten Bereich wurden anhand eines speziellen Ausbildungsprogramms mit dem Titel „Ethik im Einsatz“ von den evangelischen und katholischen Theologen der Universität der Bundeswehr zu Multiplikatoren ausgebildet. Diese erhielten unter anderem eine Taschenkarte, die in kurzen normativen Leitsätzen zentrale moralische Orientierungen aus der christlich-aufgeklärten Tradition prägnant zusammenfasst. Diese Handlungshilfe orientiert sich an grundlegenden Beziehungskonstellationen, in denen sich der Soldatenberuf unter aktuellen Einsatzbedingungen konstituiert: „Ich und mein Auftrag“, „Ich und der Andere“, „Ich und der Fremde“, „Ich und die Öffentlichkeit“. Mit den vorgestellten Inhalten konnte das Führungspersonal kurze Zeit später die Soldatinnen und Soldaten auf ihre neue Aufgabe vorbereiten und ihnen somit eine konkrete ethische Hilfestellung für den Einsatz an die Hand geben. Dieses Beispiel zeigt, dass innerhalb der Einsatzvorbereitung die Vermittlung einer spezifischen Berufsmoral und die Reflexion über Inhalte einer militärischen Berufsethik von Seiten der Truppe immer mehr an Bedeutung gewinnen.

Junge Offiziere 1960 in der damaligen Schule Innere Führung, Koblenz (heute: Zentrum Innere Führung)
Bislang werden ethische Themen in den deutschen Streitkräften nur vereinzelt und losgelöst von einem einheitlichen Ausbildungsprogramm behandelt. An den beiden Universitäten der Bundeswehr in Hamburg und München wird das Fach Ethik im Rahmen unterschiedlicher Studiengänge zwar angeboten und unterrichtet, doch damit kann nur ein sehr geringer Anteil der studierenden Offiziere erreicht werden. Das Gleiche gilt für die berufsethischen Anteile, die in anderen Bundeswehrinstitutionen zur Sprache kommen (z. B. Führungsakademie, Offiziersschulen, Truppenschulen, Zentrum Innere Führung). Militärische Berufsethik müsste aber umfassend für alle Dienstgradgruppen gelehrt werden.

Dabei kann die Militärseelsorge in der Wertevermittlung ein möglicher und wichtiger Ort sein. Angesichts der fehlenden Kirchenbindung vieler Soldatinnen und Soldaten durch den gesellschaftlichen Säkularisierungsprozess sollte eine berufsethische Ausbildung jedoch auch unabhängig von religiösen und konfessionellen Bindungen angeboten werden. Dies bedeutet aber keineswegs, dass die christlichen Werte und die für Europa so zentralen christlich-abendländischen Traditionselemente nicht gebührend zur Sprache kommen dürfen. Ganz im Gegenteil: Unsere ethischen Prinzipien sind ohne das jüdisch-christliche Fundament nicht zu verstehen. Erst vor dem Hintergrund des christlichen, biblisch begründeten Menschenbildes können Soldatinnen und Soldaten moralische Überzeugungen der westlichen Welt verstehen und letztlich auch andere kulturelle Positionen begreifen. Das heißt: Nur wenn die eigenen Wurzeln bekannt sind, kann das Fremde eingeordnet und verstanden werden! Ein ausreichendes Wissen über die Herkunftsreligion und ihr spezifisches Ethos ist insbesondere im gegenwärtigen interkulturellen und interreligiösen Dialog unverzichtbar.

Vor allem beim Führungspersonal der Bundeswehr wäre es wünschenswert, dass eine militärische Berufsethik einen festen Platz in den Laufbahnlehrgängen erhält und damit zum prüfungs- und laufbahnrelevanten Fach wird. (Eine vergleichbare und sehr tragende Ethikausbildung gibt es bereits seit langem bei der Polizei.) Bei der Institutionalisierung einer Ethikausbildung sollte die Bundeswehr stärker als bislang das bereits vorhandene akademische Personal ihrer beiden Universitäten nutzen. So könnten sich die Theologen beispielsweise an einem noch aufzubauenden verpflichtenden berufsethischen Begleitstudium (etwa im Rahmen von „studium plus“ in München) für alle studierenden Offiziere inhaltlich und personell beteiligen. Ein solches Ausbildungskonzept hätte zum Ziel, dass nach einigen Studientrimestern prinzipiell alle Offiziere der Bundeswehr für ethische Fragen sensibilisiert wären. Vor diesem Hintergrund könnte dann das Führungspersonal an einer Ethikausbildung in der Truppe mitwirken. Allerdings ist zu überlegen, ob die gegenwärtigen strukturellen und personellen Ressourcen der theologisch-ethischen Institute ausreichen, um das Fach militärische Berufsethik in Forschung und Lehre umfassend vertreten zu können.

Fazit: Die Bundeswehr benötigt heute nicht nur eine strukturelle, sondern auch eine moralische Transformation. Als moderne Einsatzarmee ist sie mehr denn je auf mündige Soldaten angewiesen, die befähigt sind, verantwortlich zu entscheiden. Eine umfassende Ethikausbildung kann dieses Ziel näher bringen!

Prof. Dr. Thomas Bohrmann,
Institut für Theologie und Ethik
Universität der Bundeswehr München
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