25 |
Sicher ist sicher!von Dr. Matthias Gillner | Dr. Matthias
Gillner, Dozent
für Katholische
Sozialethik an der
Führungsakademie
der Bundeswehr in
Hamburg | Lasst uns lieber auf Nummer sicher gehen! Als "gesellschaftliches Wertsymbol" (Franz-Xaver Kaufmann) verheißt Sicherheit heute nicht nur Schutz vor Gefahr, Not und Risiken aller Art, sondern auch Gewissheit und Verlässlichkeit, Geborgenheit und Beheimatung. Doch das Streben nach einer immer "sichereren Sicherheit" stößt an gesellschaftliche, moralische und existentielle Grenzen: Eine umfassend von außen erfolgende Stabilisierung des Individuums ist in ausdifferenzierten Gesellschaften nicht möglich; die Herstellung absoluter Sicherheitsverhältnisse gerät innergesellschaftlich mit dem Wert der Freiheit, international mit dem Wert des Friedens in Konflikt; zudem schließt die Endlichkeit menschlichen Lebens auch ein vollkommenes Sicherheitsgefühl aus.
Sorglose Sicherheit
Ursprünglich bedeutet Sicherheit (lat.: securitas) ein subjektives Gefühl der Schmerz- und Sorglosigkeit, eine "Abwesenheit von Kummer" (Cicero). In biblischer Tradition ("Aber ich bin voll glühendem Zorn gegen die Völker, die sich in falscher Sicherheit wiegen." Sach 1,15) wenden frühe christliche Theologen Sicherheit auch ins Negative: als "fahrlässige Unbekümmertheit". Später werden die "Sicheren" wegen ihres "Mangels an Gottvertrauen" (Luther) und ihrer "Selbstberuhigung" (Calvin) vor allem von den Reformatoren kritisiert. Eine andere Sorglosigkeit hat freilich Jesus im Blick, wenn er mahnend daran erinnert: "Euch muss es zuerst um sein Reich und seine Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben." (Mt 6,33)
Innere Sicherheit
In der Neuzeit verliert Sicherheit ihre moralische Ambivalenz. Bedingt durch den Verlust einer von Gott gegebenen politischen und sozialen Ordnung steigt sie zu einem gesellschaftlich angestrebten Wert auf. Sicherheit als Herstellung eines verlässlichen Zustands von Gefahrlosigkeit wird sogar zum primären Rechtfertigungsgrund des modernen Staates (Machiavelli, Hobbes). Menschliches Streben zielt aber auf Selbsterhaltung und Selbstentfaltung. Insofern ist eine Politik der inneren Sicherheit nur dann legitim, wenn sie "instrumentell auf eine rechtliche Ordnung ausbalancierter Freiheit bezogen bleibt" (Reuter: Sicherheit, innere/äußere, in: RGG 7, 2004, 1.297). Mit der industriellen Revolution beginnt sich die Aufmerksamkeit der inneren Sicherheit zu verlagern: hin zum Schutz vor sozialer Not. Soziale Sicherheit wird zu einer Leitidee des Wohlfahrtsstaates und 1948 von der Generalversammlung der VN zum allgemeinen Menschenrecht (Art. 22) erklärt. Gegenwärtig wecken Risiken der technischen Entwicklung neue Sicherheitsbedürfnisse.
Äußere Sicherheit
Gefährdungen des Menschen entstehen nicht nur im Inneren eines Staates. Traditionell richtet sich äußere Sicherheit allein gegen externe militärische Bedrohungen der politischen Selbstbestimmung und der territorialen Integrität. Die Idee einer "erweiterten Sicherheit" löst den Begriff aus der alten nationalstaatlichen und militärischen Engführung. Sie schließt die Unteilbarkeit von Sicherheit (notwendig?) mit ein - zielt somit nicht nur auf die nationale Sicherheit eines einzelnen Staates, sondern auf eine kollektive, umfassende, multilaterale Sicherheitsstruktur (im Rahmen der VN). Aber mit der Ausweitung des Bedrohungsspektrums (von Terrorismus über Menschenrechtsverletzungen bis zur Unterentwicklung) gerät eine solche Sicherheitskonzeption schnell in Konflikt mit der klassischen Friedensidee. Denn dieser geht es nicht nur um die Absicherung stabiler Strukturen, um das Auf-Distanz-Halten von Krisen und um die Eindämmung ihrer Auswirkungen, sondern um die Errichtung gerechter Strukturen, um die Bearbeitung von Krisen und um die Bekämpfung ihrer Ursachen. Erst mit der Finalisierung der Sicherheit auf den Frieden gewinnt die Politik jenen Zielhorizont, der ein gerechtes und sicheres Zusammenleben zwischen Staaten und Gesellschaften möglich macht.
|
|
|