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Gewissensfreiheit und Gewissensentscheidung contra Befehl und Gehorsam? | "Gewissensfreiheit unter den Bedingungen von Befehl und Gehorsam" (zu beziehen: siehe unten) | Welchen verfassungsrechtlichen Rang, welche praktische Bedeutung besitzt die Entscheidung eines Soldaten, wenn er grundsätzlich bereit ist, den Dienst an der Waffe zu leisten, sich in einer konkreten Situation aber mit Berufung auf sein Gewissen außerstande sieht, einem bestimmten Befehl Folge zu leisten?
(Anlass der Entscheidung: Ein Major weigert sich, ein IT-Projekt weiter zu entwickeln, bei dem nicht auszuschließen ist, dass es auch zur Unterstützung des Irak-Kriegs eingesetzt werden wird. Er beruft sich auf sein Gewissen, das ihm die Mitarbeit an einem verfassungswidrigen Krieg verbietet.)
Die Rechtsprechung war sich bis 1995 einig, dass dem Einzelnen in einem solchen Fall kaum Spielraum zusteht. Die katholische Kirche hat seit Jahren auf die damit verbundenen Probleme und den Widerspruch zur Inneren Führung hingewiesen und begrüßt entsprechend eine Grundsatzentscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes (BVerwG), in der dem Grundrecht der Gewissensfreiheit Vorrang gegenüber dem Befehl eingeräumt wurde. Infolgedessen hat die Deutsche Kommission „Justitia et Pax“ eine systematische Einordnung und ethische Analyse des Urteils herausgegeben.
Es wäre vermessen, an dieser Stelle und in dieser Kürze die Argumentationslinie des Urteils bzw. des Positionspapiers nachzeichnen zu wollen. Aufgefallen sind mir aber u.a. folgende Punkte:
• Das Urteil zeigt „die Grenzen der Gehorsamspflicht eines Soldaten in einem demokratischen Rechtsstaat“ auf (24).
• Es zählt insgesamt sieben Befehlsarten auf, die unverbindlich sind bzw. nicht befolgt werden dürfen oder müssen.
• Erteilte Befehle „gewissenhaft“ auszuführen (§11 Soldatengesetz) heißt daher nicht nur, „nach besten Kräften, vollständig und unverzüglich“, sondern wird vom Gericht deutlicher mit seinem Stammwort „Gewissen“ verknüpft.
• Freilich hätte die Schrift erwähnen sollen, dass es neben dem Recht (und der moralischen Pflicht) der Soldatinnen und Soldaten, ihrem Gewissen zu gehorchen, auch die Verpflichtung der Vorgesetzten gibt, rechtmäßige Befehle zu erteilen, die die Untergebenen erst gar nicht in Gewissenkonflikte bringen!
• Die Gewissensfreiheit ist indes ein nicht durch andere Grundrechte oder Gesetze einschränkbares Gut, gilt für jede Soldatin und jeden Soldaten nicht nur prinzipiell (Kriegsdienstverweigerung), sondern auch in einer konkreten Situation (situativ). Strittig bleibt weiterhin, inwieweit ein Soldat, eine Soldatin für seine/ihre Gewissensentscheidung auch (zumutbare) Nachteile in Kauf nehmen muss, inwieweit der Staat dies einfordern kann und darf und wo die Grenze zur Be- und Abstrafung überschritten wird.
• Die Gewissensfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 Grundgesetz „kollidiert nicht mit dem ‚verfassungsrechtlichen Rang’ der ‚Funktionsfähigkeit’ der Bundeswehr“ (32). Konflikte, die sich aus dem Spannungsverhältnis Gewissensfreiheit und der Befehls- und Kommandogewalt (vgl. Art. 65a GG) ergeben, sollen pragmatisch („Herstellung ‚praktischer Konkordanz’“) gelöst oder noch besser vermieden werden. Zu Recht weist Gillner hier darauf hin, dass sich eine einfache Abwägung jedoch verbietet, insofern gerade die staatliche Gewalt an die Grundrechte gebunden ist und die Bundeswehr den Auftrag hat, diese Grundrechte als Teil der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu schützen (vgl. 42–43).
• Sehr zutreffend kritisiert der Autor die Interpretation des Urteils durch das Bundesministerium der Verteidigung und leitet daraus die Notwendigkeit für die Militärseelsorger/-innen ab, die Gewährleistung der Gewissensfreiheit zu beobachten und ggf. zu protestieren (46–47) sowie denjenigen beizustehen, die den Gehorsam aus Gewissensgründen verweigern. Schließlich bedürfen Soldatinnen und Soldaten besonders auf dem sensiblen Gebiet einer möglichen Gewaltausübung der Gewissensbildung und der Orientierungshilfe. Militärseelsorger/-innen, die außerhalb der Hierarchie stehen, aber in die Bundeswehr eingebunden sind und eine fundierte ethische Ausbildung mitbringen, haben hier gute Voraussetzungen und zum Beispiel mit dem Lebenskundlichen Unterricht einen geeigneten Rahmen.
Fazit: Die Stärke der Schrift liegt zweifellos in der verständlichen Zusammenfassung und Erläuterung der wesentlichen Punkte der Gerichtsentscheidung (wer will schon 126 Seiten eines Urteils lesen?) und deren Bewertung im Lichte der katholischen Morallehre und den Grundsätzen der Inneren Führung. Indem Gillner den Blick auf pastorale Möglichkeiten und Notwendigkeiten lenkt, ist das Papier für Juristen, Militärseelsorger/-innen sowie für Soldatinnen und Soldaten gleichermaßen interessant, erhellend und voller Diskussionsstoff.
Petra Hammann
Matthias Gillner:
Gewissensfreiheit unter den Bedingungen von Befehl und Gehorsam.
(= Schriftenreihe Gerechtigkeit und Frieden, H. 117), Juni 2008.
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