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Wehrerziehung und -dienst in der DDR aus der Sicht eines Betroffenen | Militärdekan
Monsignore
Hartmut Gremler,
Katholisches
Militärdekanat
Erfurt | Kompass: In den Schulen der DDR wurde 1978 der Wehrunterricht verpflichtend ab der 9. Klasse eingeführt. Wie haben die katholische Kirche und einzelne Christen darauf reagiert?
Hartmut Gremler: Die bereits im Kindergarten beginnende Wehrerziehung war Teil der staatlichen Erziehung in der DDR. Ab 1978 mussten Mädchen und Jungen der 9. und 10. Klassen am Wehrunterricht teilnehmen - eine Freistellung war nicht möglich, FDJ-Mitglieder mussten in Blauhemden erscheinen. Hier wurde in einem theoretischen Teil militärisches und politisches Grundlagenwissen über die NVA und die "sozialistische Landesverteidigung" vermittelt. Wesentlicher Teil des praktischen Wehrunterrichts waren ein Wehrlager für die Jungen oder ein Lehrgang für Zivilbeteiligung für Mädchen sowie für Jungen, die nicht am Wehrlager teilnahmen.
Im Jahr 1981 wurde zudem die vormilitärische Ausbildung für die 11. Klasse der Erweiterten Oberschule zur Pflicht; ein Jahr später folgte selbiges für die Lehrlinge.
Als sich die Einführung des Wehrkundeunterrichtes abzeichnete, konnten die Kirchen nicht länger schweigen. Die Berliner Bischofskonferenz beriet in einer Sitzung am 5. und 6.6.1978 zu diesem Thema und verabschiedete den Text einer protestierenden Eingabe. Die Bischöfe beklagten in diesem Schreiben die neuerliche Gewissensnot. Der Vorsitzende der BBK Kardinal Bengsch überreichte dieses Protestschreiben dem Staatssekretär für Kirchenfragen Seigewasser am 12.6.1978.
Der Erfurter Bischof Hugo Aufderbeck nahm in der Öffentlichkeit auch bei diesem Thema kein Blatt vor den Mund, z. B. bei der Frauenwallfahrt.
Für die Christen bedeutete es eine neue Belastung. Die Teilnahme daran sollte zwar freiwillig sein, aber es liegt auf der Hand, dass damit eine neue Qualität der Diffamierung für jene gegeben war, die sich aus Gewissensgründen nicht imstande sahen, eine solche Ausbildung mitzumachen.
Kompass: Ein Grundrecht auf Verweigerung des Dienstes mit der Waffe aus Gewissensgründen kannte die DDR nicht. Was bedeutete dies für junge Christen, die Wehrdienst in der Nationalen Volksarmee leisten mussten?
Hartmut Gremler: Seit dem 7.9.1964 gab es die Anordnung des Nationalen Verteidigungsrates der DDR über die Aufstellung von Baueinheiten. Ein Christ hatte demzufolge die Möglichkeit, den Dienst mit der Waffe zu verweigern. Diesen Ersatzdienst gab es aber nicht zivil, sondern nur als "Bausoldat". Diese Entscheidung musste aber schon bei der Musterung schriftlich niedergelegt werden, weil alle späteren Anträge als "Befehlsverweigerung" geahndet wurden. Wer diese Entscheidung traf, wusste, dass er in der DDR nicht mehr alle Ausbildungsmöglichkeiten hatte. Denn wer in der DDR einen Studienplatz haben wollte, musste ihn sozusagen "mit der Waffe verteidigen". Man erwartete sogar eine Verpflichtung für drei Jahre. Dies bedeutete für einen jungen Christen eine große Herausforderung und für viele auch eine Gewissensnot, weil ein Christ auch da wichtig ist, wo die Umwelt unchristlich ist. Diese Frage hat sich aber bis in unsere Tage nicht geändert.
Kompass: Militärseelsorge im praktischen und rechtlich geregelten Sinne konnte es in der NVA natürlich nicht geben. Gab es Seelsorge der katholischen Kirche für Wehrpflichtige in der DDR?
| Grenzsoldaten
stehen auf der
Berliner Mauer
am Brandenburger
Tor, 1989. | Hartmut Gremler: Natürlich konnte es in einem atheistisch-sozialistischen Staat keine gesetzlich geregelte Militärseelsorge geben. Auch hier gab es Seelsorgemöglichkeiten nur auf privater Ebene bzw. über die kirchliche Jugendarbeit. Christlich engagierte Jugendliche waren in unseren kirchlichen Jugendhäusern zu Hause und lernten dort Gleichgesinnte kennen. Es gab also durch die Jugendhäuser eine gewisse Vernetzung der jungen Christen. In diesen Häusern wurden auch Vorbereitungswochenenden für Wehrpflichtige angeboten. Vor Ort konnten sie nur über die jeweiligen Gemeindeseelsorger betreut werden, die ihnen die Tür öffneten, wenn sie Ausgang hatten. Von der Pfarrjugend der Heimatgemeinde wurden zu Weihnachten Päckchen gepackt und in die Kasernen verschickt. Einzelne hatten auch intensiven Briefkontakt mit dem Pfarrer oder der Jugendgruppe. Es gab auch Seelsorger, die Privatbesuche in der Kaserne machten, was nicht ganz leicht war.
Kompass: Am 9. November 1989 öffnete sich die innerdeutsche Grenze und die Mauer in Berlin fiel. Zuvor schon flüchteten Bürgerinnen und Bürger der DDR über bundesdeutsche Botschaften in Prag und Budapest. Die staatliche Einheit Deutschlands zeichnete sich ab und wurde real. Im November 2009 werden wir daran erinnert, dass dies alles nun schon 20 Jahre her ist. Sie selbst fanden den Weg in die Katholische Militärseelsorge und leiten heute das Katholische Militärdekanat Erfurt. Mit Blick auf Ihre persönlichen Erfahrungen: Was freut Sie, was ärgert Sie in den deutschen Streitkräften als "Armee der Einheit"?
Hartmut Gremler: 1991 habe ich in Bad Frankenhausen meinen Dienst in der Militärseelsorge begonnen und konnte damals nicht ahnen, was dieser Schritt alles mit sich bringen wird. Sie haben Recht, es gibt Dinge, über die ich mich freue, aber auch einiges, worüber ich mich ärgere. Ich freue mich, dass ich erleben konnte, wie Menschen in Uniform aus ganz unterschiedlicher Herkunft - das betrifft sowohl den Dialekt als auch das Bekenntnis - miteinander konfrontiert wurden und unter anderen Voraussetzungen die Chance bekamen zusammenzuwachsen, als das in der Marktwirtschaft der Fall war. Ich muss aber auch gestehen, dass das Wort "Armee der Einheit" nicht nur Freude hervorruft und hier und da kritisch betrachtet werden darf. Das Erfreuliche ist, dass der Mensch mit seiner Gewissensfreiheit im Vordergrund steht.
Ich ärgere mich über die Entwicklung der letzten Jahre. Das Wort "heimatnah" wird man irgendwann nur noch im Lexikon finden. Der Soldatenberuf entwickelt sich immer mehr zu einem familienfeindlichen Beruf. Auch muss ich die Erfahrung machen, dass "Vorgänge" in den Akten wichtiger sind als die einfache Lösung auf dem sogenannten "kleinen Dienstweg". Als Seelsorger ärgert mich auch, dass für die "Seele" viel zu wenig Zeit bleibt.
Das Interview führte Josef König.
Ein weiterer Erfahrungsbericht eines betroffenen Priesters auf:
katholische-militaerseelsorge.de
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