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Weltweite Solidarität bewegt viele Menschen, und konsequente Armutsbekämpfung ist mehrheitsfähiger als viele glauben

Prälat Dr. Karl Jüsten, Leiter des Kommissariats der deutschen Bischöfe, Katholisches Büro in Berlin
Kompass: Der Leitgedanke des diesjährigen Weltfriedensgebets, zu dem der Heilige Vater alljährlich aufruft und einlädt, macht auf den inneren Zusammenhang zwischen Armutsbekämpfung und Frieden aufmerksam. Mit Blick auf diesen Zusammenhang: Warum ist es der Kirche wichtig, darauf hinzuweisen und die Armut in den Mittelpunkt zu stellen?

Prälat Dr. Jüsten: Der Kirche geht es um das Heil für den ganzen Menschen und für alle Menschen. Als Ebenbild Gottes sollen alle ein Leben in Würde führen können. Armut, Elend und Ausgrenzung bedrohen ein menschenwürdiges Leben ebenso wie Gewalt und kriegerische Auseinandersetzungen. Der Kampf der Kirche gegen die Armut ist in besonderer Weise durch die vorrangige Option für die Armen motiviert. Schon Augustinus und nach ihm die kirchliche Soziallehre in vielen Verlautbarungen haben auf den inneren Zusammenhang von Gerechtigkeit und Frieden hingewiesen: „Der Friede ist das Werk der Gerechtigkeit“ oder „Entwicklung ist der neue Name für Frieden“, wie es in Populorum Progressio bereits 1967 formuliert wurde, bis hin zur Entfaltung im Wort der Deutschen Bischofskonferenz „Gerechter Friede“ aus dem Jahr 2000.

In Zeiten der Globalisierung wird dieser Zusammenhang geradezu drastisch deutlich: Militärische Auseinandersetzungen werden angefacht durch den Kampf um knappe Ressourcen, um Energie oder Wasser. Die gerechte Verteilung der Güter dieser Erde, der Zugänge zu Nahrung, aber auch zu Bildung, zu kultureller oder politischer Partizipation ist eine Voraussetzung für Gemeinwohl, das nicht national, sondern nur global verwirklicht werden kann, eine Voraussetzung für dauerhaften Frieden. Und ohne Frieden bzw. ein Mindestmaß an öffentlicher Sicherheit kann Armut nicht wirksam bekämpft bzw. nachhaltige Entwicklung gewährleistet werden.

Wir Menschen sind aufeinander verwiesen und füreinander verantwortlich, für die nahen und fernen Nächsten. Dem muss eine weltweite Solidarität entsprechen, eine Globalisierung der Solidarität, wie Johannes Paul II. gefordert hatte. Entwicklung und Armutsbekämpfung einerseits sowie Sicherheit und Frieden andererseits brauchen einander, oder wie es der Psalmist in der Beschreibung des verheißenen endzeitlichen Shalom sagt: „Gerechtigkeit und Friede küssen sich.“

Kompass: Nun geschieht Armutsbekämpfung in der Welt vielfach unter extrem schwierigen, oftmals für Leib und Leben der dort engagierten Helferinnen und Helfer lebensbedrohlichen Bedingungen. Kann ein Einsatz von Streitkräften dabei sinnvoll sein? Welche kirchlichen Prinzipien gelten dabei?

Prälat Dr. Jüsten: Zunächst ist festzuhalten: Streitkräfte sind nicht für Armutsbekämpfung da! Dafür sind sie nicht ausgebildet und nicht ausgerüstet. Wenn Soldaten in Afghanistan Brunnen bauen oder auch Polizeikräfte schulen, so ist dies aus der Not geboren, aber keineswegs eine anzustrebende Arbeitsteilung, sondern es gibt eher Anlass zu fragen, was falsch gelaufen ist. Warum sind nicht rechtzeitig Polizeikräfte freigestellt worden für die Ausbildung und den Aufbau einer einheimischen Polizei?



Ein deutscher Soldat „bastelt“ mit einheimischen Kindern in Afghanistan.
Die Kirche plädiert nachhaltig für den Vorrang ziviler Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung und zwar schon in der politischen Konzeption und Planung. Deshalb hatte die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) auch den entsprechenden Aktionsplan der Bundesregierung begrüßt und unter der Überschrift „Vertrauen auf die Kraft des Zivilen“ in ihrem Kommentar zum zweiten Umsetzungsbericht der Bundesregierung diese ermuntert, in der Umsetzung des Aktionsplans viel konsequenter die Maßnahmen der einzelnen Ressorts unter dem Primat der zivilen Krisenprävention auszurichten.

Gerade in „failing states“ sind der Aufbau und die Stärkung staatlicher Strukturen eine Voraussetzung für demokratisch legitimierte, staatliche Sicherheitsorgane, die öffentliche Sicherheit gewährleisten
können und damit u. a. Armutsbekämpfung ermöglichen. Eine solche langfristige Entwicklungsarbeit ist durch keine militärische Aktion von außen zu ersetzen.

Kompass: Nahe an der Politik, an Parlament und Regierung leiten Sie das Kommissariat der Deutschen Bischöfe als Katholisches Büro in Berlin. Wenn also von Parlament und Regierung der Rat und die Meinung der Kirche erbeten sind – welchen geben Sie, wenn gefragt wird, wie Armut bekämpft und wie der Frieden ausgebaut werden kann?

Prälat Dr. Jüsten: In der Bekämpfung der Armut wie auch in der Förderung und Sicherung des Friedens braucht es zunächst verbindliche internationale Zusammenarbeit, braucht es demokratisch
legitimierte und handlungsfähige Einrichtungen. Die Globalisierung erfordert die Stärkung multilateraler Zusammenschlüsse und Regelwerke in den Vereinten Nationen und der Europäischen Union, dies zeigt nicht zuletzt die internationale Finanzkrise.

Die Kirche hat sich schon früh für eine Stärkung der Vereinten Nationen eingesetzt und macht sich dort auch für eine konsequente Achtung der Menschenrechte stark. Die Menschenrechte müssen national und international mit durchsetzungsfähigen Einrichtungen und Regelwerken zur Geltung gebracht werden; dies gilt auch für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte. Menschenrechte dürfen nicht hinten angestellt werden aus Gründen der Terrorismusbekämpfung oder mit Rücksicht auf international bedeutsame Partner wie China, Russland oder USA.

Die Millenniums-Entwicklungsziele der UN stellen einen Fahrplan dar zur Überwindung von Armut für weltweite Entwicklung, deren Umsetzung wir immer wieder anmahnen. Insbesondere gilt dies für das erste Ziel, die Halbierung der extremen Armut bis 2015.

Das Leitbild einer nachhaltigen menschenwürdigen Entwicklung muss die Gesamtpolitik in ihren verschiedenen Arbeitsfeldern orientieren. Eine armenorientierte Entwicklungspolitik erfordert Kohärenz und die Beachtung und Umsetzung von Entwicklungszielen in allen Politikfeldern nicht nur der Entwicklungspolitik, sondern auch in der (Außen-)Wirtschaft, Handels-, Agrar- und Klimapolitik. Es braucht Kohärenz in der Bundesregierung ebenso wie im Parlament, dann könnten auch die klugen Konzepte zu Frieden, Sicherheit und Entwicklung endlich umgesetzt werden.

Der Ruf nach einem Vorrang sog. „wohlverstandener nationaler Eigeninteressen“ ist ein Holzweg. Tragfähige Lösungen für die Finanzkrise ebenso wie für Klima- oder Nahrungskrise werden nur gefunden im weitsichtigen und gerechten Interessenausgleich, der die unterschiedlichen Voraussetzungen armer und reicher Länder berücksichtigt.

Und schließlich ein letzter Rat den Politikern im Blick auf die anstehenden Wahlkämpfe: Weltweite Solidarität bewegt viele Menschen, und konsequente Armutsbekämpfung ist mehrheitsfähiger als viele glauben.

Das Interview führte Josef König.