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Die Zehn Gebote

PD Dr. theol. habil. Thomas R. Elßner, Pastoralreferent, Katholisches Militärpfarramt Koblenz III
Foto: © André Klevenow
Die Zehn Gebote sind einer der bekanntesten Texte der Bibel. Wenig bekannt hingegen ist, dass diese in der Bibel zweimal überliefert sind, und zwar im Buch Exodus 20,2-17 (2. Mose) und im Buch Deuteronomium 5,6-21 (5. Mose). Beide Fassungen stimmen zudem im Wortlaut nicht völlig überein, an einigen Stellen unterscheiden sie sich sogar deutlich voneinander. Hinzu kommt, dass der jeweilige Wortlaut der Zehn Gebote in der Bibel umfangreicher ist, als er in Schulbüchern angegeben und im Religionsunterricht für gewöhnlich gelernt wird. Im teilweise unterschiedlichen Wortlaut liegt auch der Grund dafür, weshalb die Zehn Gebote im Buch Exodus letztlich anders gezählt werden als im Buch Deuteronomium. Dies wiederum führt zu einer unterschiedlichen Zählweise im Judentum und selbst innerhalb der Kirchen. Auch ist der deutsche Begriff "Zehn Gebote" etwas irreführend, denn bei acht Forderungen handelt es sich um Verbote und nur bei zweien um Gebote. Stattdessen wird sowohl im hebräischen als auch im griechischen Bibeltext der Begriff "Zehn Worte" gebraucht (Ex 34,28; Dtn 10,4). Diese Bedeutung wird im griechischstämmigen Ausdruck "Dekalog", das Zehnwort, bewahrt.

Am Anfang die Befreiung

Im Hinblick auf diese Ge- und Verbote besteht jedoch ein häufig anzutreffendes Missverständnis darin, den Dekalog ausschließlich als einen Text wahrzunehmen, der einengen will, weil er etwas verbietet. Dabei wird das Vorzeichen übersehen, welches vor den einzelnen Ver- und Geboten steht. Es ist mit Blick auf das Volk Israel die Feststellung: "Ich Jahwe, bin dein Gott, der ich dich aus dem Land Ägypten, dem Sklavenhaus, herausführen ließ." Das heißt, Jahwe hat sein Volk aus der Unterdrückung befreit. Und jetzt soll es auch darauf achten, in dieser Freiheit zu bleiben. Damit das Volk Gottes diese Freiheit bewahrt, dazu dienen die auf jenes Vorzeichen folgenden einzelnen Forderungen. Die Dankbarkeit gegenüber der Befreiungstat Gottes äußert sich im Judentum darin, dass es diesen ersten Satz, auf den die Reihe der Einzelforderungen im Dekalog folgt, auch als das erste "Gebot" zählt.

Beziehung zu Gott und den Nächsten

An erster Stelle des Dekalogs befinden sich Forderungen bezüglich der Gottesverehrung. Dabei handelt es sich um das Verbot, fremde Götter zu verehren, wozu auch gehört, kein Kultbild von Gott anzufertigen. Jede Kultfigur, auch wenn sie Jahwe darstellen sollte, wäre letztlich immer nur ein Kultbild wie von jedem anderen Gott auch. Ein weiteres Verbot untersagt, den Namen Gottes zu missbrauchen, indem man bei ihm z. B. einen Meineid schwört oder leichtsinnige Versprechen gibt. Es verbietet aber nicht, Gottes Namen zum Lobe zu erheben. Das Sabbatgebot schließlich gebietet, an einen Tag in der Woche nicht dem Broterwerb nachzugehen, sondern von Arbeitslast befreit zu sein, um auszuruhen. Dieses Ausruhen geschieht nicht um seiner selbst willen, sondern man soll sich an diesem Tag daran erinnern, dass Gott Menschen aus der Versklavung in die Freiheit führt. Am Beginn der Forderungen, welche die Beziehungen zu den Mitmenschen regeln, steht das Gebot, Vater und Mutter zu ehren. Dieses Gebot richtet sich nicht zuerst an Kleinkinder, sondern an Erwachsene, ihren Eltern auch im Alter ein würdiges Leben zu erhalten. Das Tötungsverbot beschränkte sich ursprünglich auf ein gesetzeswidriges Töten. Deshalb kann es auch mit "Du sollst nicht morden" übersetzt werden. Das Ehebruchsverbot schützt die Beziehung zwischen Mann und Frau und das Diebstahlverbot fremdes Eigentum. Das Falschzeugnisverbot richtet sich gegen Verleumdungen des Nächsten, sei es vor Gericht oder im Alltag. Die Begehrensverbote wenden sich dagegen, Überlegungen und Handlungen danach auszurichten, das Eigentum oder die Frau des Nächsten zu bekommen, und sei es auf eine nach außen hin legale Weise.

Auch wenn sich das Verständnis einzelner Ge- und Verbote im Laufe der Zeit weiterentwickelt hat, so beziehen sie sich stets auf all die Bereiche des Menschen, die besonders empfindlich sind. Ein Verstoß gegen sie kann lebenszerstörend sein und / oder in drückende Abhängigkeiten führen. Deshalb nannte Thomas Mann die Zehn Gebote auch "das Ewig-Kurzgefaßte, das Bündig-Bindende".