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Politisch notwendig, militärisch sinnvoll und moralisch begründet

Ulrike Merten, MdB, SPD-Fraktion, Vorsitzende des Verteidigungausschusses im Deutschen Bundestag
Foto: © Ulrike Merten
Autorität. Befehl. Gehorsam. Die deutsche Sprache ist reich an Begriffen, die durch unsere jüngere Geschichte belastet sind. Diese drei Worte zählen ohne Zweifel dazu. Altbundeskanzler Helmut Schmidt hat in seiner bewegenden Ansprache am 20. Juli 2008 anlässlich des Gelöbnisses vor dem Berliner Reichstag gesagt, dass er im Zuge der Schauprozesse gegen die Widerstandskämpfer des 20. Juli erstmals den verbrecherischen Charakter des Dritten Reichs begriffen habe. Dennoch habe er als kämpfender Soldat weiterhin seine Befehle und Pflichten befolgt. So wie Millionen anderer Soldaten auch, die in der gleichen Gehorsamstradition erzogen worden waren wie er.

Um Missverständnissen vorzubeugen: eine Armee, die nicht auf dem Prinzip von Befehl und Gehorsam beruht, ist nicht denkbar. Als die Bundeswehr gegründet wurde, ist es der Politik demnach nicht darum gegangen, dieses Prinzip als solches abzuschaffen. Entscheidend war vielmehr, in den Soldaten das Bewusstsein zu wecken, Staatsbürger – wenn auch in Uniform – zu sein, die mit Rechten ebenso wie mit Pflichten ausgestattet sind. Nie wieder sollten Befehle nur blinden, ergebenen Gehorsam finden und dieser als vermeintliche Rechtfertigung für begangene Verbrechen dienen können. Deshalb hat das Parlament der militärischen Befehlsbefugnis von vorneherein rechtliche Grenzen gesetzt. So wird dem einzelnen Soldaten, der sich im Spannungsfeld der Achtung seiner Person als Staatsbürger in Uniform einerseits und den berechtigten Erfordernissen des Militärs andererseits bewegt, beispielsweise ein im internationalen Vergleich sehr weitgehendes Recht zugestanden, Befehle aus ernsthaften Gewissensgründen zu verweigern.

Neben diesem Nicht-befolgen-Brauchen, gibt es aber auch ein Nicht-befolgen-Dürfen: Jedem Soldaten wird vom Gesetzgeber zugemutet, sich im Falle eines rechtswidrigen Befehls seinem Vorgesetzten entgegenzustellen. Dies mag im Einzelfall Mut erfordern. Diesen müssen wir aber unseren Soldaten umso mehr abverlangen, als die Bundeswehr heutzutage eine Armee im Einsatz ist. Denn dadurch ist die Wahrscheinlichkeit gewachsen, dass Soldaten in Situationen geraten, in der die Frage nach der Verbindlichkeit von Befehlen plötzlich virulent wird. Gerade in diesen Situationen ist jedoch nicht nur der befehlsempfangende, sondern auch und gerade der befehlsgebende Soldat gefordert. Denn ohne Anspruch auf blinden Gehorsam auf der einen Seite, kann es auf der anderen Seite nicht mehr ohne weiteres ausreichen, die bloße Befehlsgewalt zu besitzen.

Schon die alten Römer wussten zwischen potestas und auctoritas zu unterscheiden, zwischen Befehlsgewalt und Autorität im besten Sinne des Wortes. Gefragt waren in der neuen Armee nun Vorgesetzte, die neben der Befehlsgewalt auch auctoritas besitzen, d. h. ihre Untergebenen durch ihre menschlichen und sachlichen Qualifikationen überzeugen und motivieren können.

Dahinter steckt letztlich der Anspruch der Bundeswehr, dass jeder Soldat überzeugt sein soll, dass sein Auftrag politisch notwendig, militärisch sinnvoll und nicht zuletzt moralisch begründet ist. Überzeugung lässt sich jedoch nicht befehlen, sondern nur vermitteln. Diese Vermittlungsarbeit beginnt dabei natürlich dort, wo vor allem die Einsätze der Bundeswehr ihren Anfang nehmen: im Parlament. Dort fällt die Entscheidung darüber, ob deutsche Soldaten in einen Auslandseinsatz gehen. Dies allein kann jedoch nicht ausreichen. Denn gerade von uns Parlamentariern muss verlangt werden, dass wir die Einsätze erklären und vermitteln. Wir haben diese Aufgabe erfüllt, wenn die Soldaten nicht einfach einem Einsatzbefehl gehorchen, sondern dem Auftrag der Politik mit der Überzeugung folgen, dass die Entscheidung zum Einsatz militärischer Mittel verantwortlich erfolgt ist und ihnen ein wichtiger, sinnvoller und leistbarer Auftrag erteilt wurde. Es mag sein, dass dieser Anspruch nicht immer gleich gut eingelöst wird. Und dennoch spüre ich in meinen Gesprächen mit Soldaten ein Grundvertrauen, das auf einem Versprechen der Politik beruht, welches Helmut Schmidt in seiner Rede vor Rekruten am 20. Juli 2008 so ausgedrückt hat: „Dieser Staat wird euch nicht missbrauchen. Denn die Würde und das Recht des einzelnen Menschen sind das oberste Gebot – nicht nur für die Regierenden, sondern für uns alle.“