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Der Stein vor dem Grab

Militärdekan Rainer Stahlhacke, Katholisches Militärpfarramt Munster
Foto: © KMBA
Wir stehen mitten in der Osterzeit und haben vielleicht noch die Ostergeschichten im Gedächtnis:
Zwei Frauen auf dem Weg zu Jesus, zu dem toten Jesus. Ihre Hoffnungen auf mehr Liebe, auf Freude am Leben, auf Gemeinschaft mit allen Menschen – ihre Hoffnungen, die sie mit Jesus verbunden hatten – mussten sie begraben. All das, was sie selber miterlebt hatten, hat nun seinen Sinn verloren. Jesus ist tot, er ist gescheitert, Gott hat nicht geholfen.

Bedrückt und traurig gehen die beiden Frauen zum Grab, um den Leichnam zu salben, wie man das damals tat. Sie überlegen, wie sie wohl diesen großen Stein, der vor der Grabhöhle liegt, zur Seite rollen können. Er ist zu schwer für sie. Sie können ihn nicht bewegen.
Ein Stein – er versperrt den Zugang zu Jesus. Und doch gehen sie und wissen nicht, wie sie den Stein bewegen sollen. Er ist wie eine Mauer zwischen ihnen und ihrem toten Freund. Vor dem Stein endet ihr Weg – das wissen sie.

Auch uns versperren Steine den Weg. Wir können nicht weiter. Der Stein, der das Grab verschließt – ist er nicht auch ein Symbol für die Blockaden, die uns am Leben hindern? Viele kennen das Gefühl, dass ein Stein auf ihnen liegt, der sie nicht leben lässt. Vielleicht hat der Stein einen Namen?
Vielleicht heißt er Angst: Wir haben Angst vor den Anforderungen, die das Leben an uns stellt; Angst, wie die Zukunft sich gestaltet. Angst, nicht genug leisten zu können, Angst vor der nächsten Beurteilung, Versagensängste. Angst vor dem Einsatz in einem uns unbekannten Land und davor, wie die Familie, der Partner die Zeit der langen, einsatzbedingten Trennung verkraften. Ja, manchmal liegen zukünftige Ereignisse wie ein Stein auf unseren Herzen.

Vielleicht heißt er Einsamkeit: Wir haben keinen Menschen, mit dem wir reden können, der uns ernst nimmt mit unseren Sorgen. Wir sehnen uns danach einen wirklichen Freund, eine Freundin zu finden. Wir kommen einfach nicht durch diese Mauer hin zu anderen Menschen.
Manchmal sind es aber auch Menschen, die wie ein Stein auf uns liegen. Sie haben Macht über uns. In ihrer Nähe können wir nicht frei atmen. Sie engen uns ein. Sie blockieren uns und verhindern wie ein Stein das Leben, das in uns aufblühen will.

Vielleicht heißt er auch Schuld: Wir haben etwas falsch gemacht, haben einem Menschen weh getan, ihn enttäuscht, wissen nicht, wie wir das wieder gut machen können. Der Ballast der Vergangenheit liegt wie ein Stein auf uns, der uns nicht leben lässt.

Steine die uns belasten, an denen wir schwer zu tragen haben; Steine, die zu Mauern geworden sind – um uns herum und zwischen uns und anderen Menschen.

Die beiden Frauen blicken auf: Der Stein ist weg! Sie hatten sich auf den Weg gemacht, obwohl alles aussichtslos erschien, obwohl sie nicht wussten, wie sie den Stein beiseite schieben können. Und nun: Der Stein ist weg! Der Gekreuzigte ist auferweckt worden. Nicht nur der Stein vor dem Grab ist beiseite geräumt, auch der andere schwere Stein, der ihnen auf dem Herzen lag und sie bedrückte, der Stein, der Angst hieß und Traurigkeit, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, dieser Stein ist von ihren Herzen genommen.

Ostern – heißt das nicht auch für uns, dass Mauern fallen sollen, dass wir Steine ablegen können? Kann nicht erst dann auch für uns Ostern werden, wenn wir unsere Steine benennen und wenn wir Menschen finden, die uns helfen unsere Steine zu tragen, Mauern zu durchbrechen?

Ostern – das heißt: Wir können uns auf den Weg machen, auf den Weg zu anderen Menschen, die von Steinen erdrückt werden; ihnen tragen helfen, ihnen Steine abnehmen. Vielleicht erfahren sie dann – und wir mit ihnen –, wie Lasten leichter werden, wie Steine abfallen, wie Leben möglich wird.

Die Botschaft von Ostern will uns ermuntern, uns auf den Weg zu machen mit anderen Menschen und zu anderen, um gemeinsam Steine zu tragen und Orte zu finden, wo wir sie ablegen können. In der Auferstehung Jesu ist uns nicht nur Hoffnung auf ewiges Leben gegeben, sondern auch die Hoffnung auf neues Leben im Hier und Jetzt.

Rainer Stahlhacke