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Verdrängt oder freundliches Desinteresse?

Warum interessieren sich so wenige in Deutschland für Verteidigungs- und Sicherheitspolitik?

Ministerialdirektor a. D. Dr. Hilmar Linnenkamp, ehemaliger Mitarbeiter der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der Europäischen Union in Brüssel, Politische Abteilung, Militärpolitik
Foto: privat
Verteidigungs- und Sicherheitspolitik ist – nicht nur in diesen Zeiten der großen Wirtschafts- und Finanzkrise – ein Randthema in der Öffentlichkeit. Wer wüsste heute, nach nur einigen Wochen, noch zu sagen, welche Bedeutung dem aufwändig inszenierten NATO-Jubiläumsgipfel für die deutsche Politik zukäme? Und wie viele erinnern sich der damals, im Dezember 2008, spektakulär klingenden Absichten der französischen EU-Präsidentschaft zur weiteren Entfaltung der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik? Der Politikbetrieb verfolgt seine Routinegeschäfte auf Gipfeln und in den Tälern des Alltags, die Bundeswehr funktioniert auf See vor Libanon (Ach ja – was machen die da eigentlich noch?) oder Somalia und in den Tälern des Hindukusch, der Bundestag verlängert Mandate, Journalisten betten sich ein – weniger übrigens in die Fronttruppen als in die Reisedelegationen von Regierungsmitgliedern.

Es wird ein frommer Wunsch bleiben, dass sich die NATO „nach ihrem 60. Geburtstag als Bürgerbewegung verstehen“ müsse, wie kürzlich der Parlamentarische Staatssekretär Schmidt in der FAZ schrieb. Müssen die Bürger „sicher sein können, dass sie einem politischen Gesamtkonzept integrierter Sicherheit zugestimmt haben“? Freundliches Desinteresse gegenüber solchen gut gemeinten Formeln kann füglich nicht beklagt werden; es ist nur allzu verständlich. Der Bundespräsident hat mehrfach öffentlich jenen Mangel an Interesse beklagt. Solche Klage gehört seit je, oft mit Larmoyanz versetzt, zu den beliebtesten Topoi der Verteidigungs-Experten in Parlament und Öffentlichkeit.

Aber wie wäre dem Mangel abzuhelfen – und warum ist das überhaupt nötig? Der Kern des „Warum“ ist wohl – kurz gesagt – die Politikbedürftigkeit des Militärischen – wie es der Hamburger Historiker Klaus Naumann in seinem anregenden Essay aus dem letzten Jahr ausgeführt hat. (Zur Ironie der Politikbedürftigkeit des Militärischen gehört übrigens die in der Bundeswehr verbreitete Verwechslung des Autors mit dem ehemaligen Generalinspekteur gleichen Namens – auch nach der Lektüre des Büchleins „Sicherheitsvorsorge ist mehr als Landesverteidigung“!) Und das „Wie“ der Abhilfe? Nachdem die Bundeswehr keine Massenarmee mehr ist wie noch bis in die 1980er Jahre, sondern allenfalls noch rund 50.000 Wehrpflichtige (nach fünfmal so vielen über die Jahrzehnte der Ost-West-Konfrontation in Mitteleuropa) hat, reduziert sich die selbstverständliche Alltagsbegegnung der Bürger mit ihren Soldaten über die Generationen hinweg drastisch. Die Vermittlungsagenturen zwischen Volk und Armee sind nicht mehr die Küchentische der Wochenendheimkehrer, sondern – viel abstrakter – die Publizistik, die Wissenschaft, das Parlament. Was dort (her)vorkommt, gerät dem Bürger in den Blick und kann Interesse finden.

Aber diese Agenturen zeigen ein widersprüchliches Bild: Gibt es noch die Antipoden FAZ oder DIE WELT auf der einen, den SPIEGEL auf der anderen Seite als Verteidigungs-Debatten-Kontrahenten? In der universitären oder sonstigen Forschungslandschaft hat Verteidigung und Sicherheit heute mehr Konjunktur als je – die Münklers und Naumanns werden geachtet, gekauft und (!) gelesen. Solch besserer Nachricht steht allerdings entgegen, dass dem Bundestag (nicht: einzelnen interessierten Abgeordneten) nur selten daran liegt, seiner Armee gebührende Aufmerksamkeit zu widmen – weder in den Ausschüssen noch im (sogenannten) Plenum. Und manche rätselhafte Kontroverse über Mandatierungen oder Umgang mit Piraten zwischen den Ressorts Außenpolitik, Verteidigung, Justiz und Innenpolitik schwächt das öffentliche Interesse und verwirrt den Bürger.

Aufklärung und politische Debatte tut Not – in der Presse, im akademischen Umfeld, im Parlament. Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist kein Randthema – es betrifft den Bürger.