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Armee im Einsatzvon Reinhold Robbe | Foto: © StOKdo Berlin / Kurultay | In meinen zahlreichen Reden und Vorträgen innerhalb und außerhalb der Streitkräfte verweise ich regelmäßig auf die Tatsache, dass sich unsere Bundeswehr seit dem Mauerfall von einer Armee der klassischen Landesverteidigung zu einer Armee im Einsatz gewandelt hat. Außenstehende nehmen diese Tatsache meistens mit Interesse zur Kenntnis – oftmals aber ohne die gesamte Tragweite dieser Aussage richtig bewerten zu können. Was der Begriff „Einsatzarmee“ jedoch für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr wirklich bedeutet, erfahre ich in meiner täglichen Arbeit immer wieder „hautnah“.
Begrifflichkeiten wie „Verwundung“, „posttraumatische Belastungsstörungen“ oder „gefallene Kameraden“ kamen in der Nachkriegs-Bundeswehr so gut wie gar nicht oder nur in den Lehrbüchern vor. Heute hingegen sind diese Dinge für jede Soldatin und jeden Soldaten allgegenwärtig, sie gehören in der Einsatzarmee Bundeswehr zum „soldatischen Alltag“. Bevor ein Soldat in den Einsatz geht, empfiehlt ihm sein Dienstherr, für den „schlimmsten Fall“ vorzusorgen, indem er ein Testament hinterlegt. Spätestens hier wird dem Soldaten vor Augen geführt, was „Einsatzarmee“ in der Realität in letzter Konsequenz bedeuten kann. Trotzdem hoffen selbstverständlich alle Soldaten, stets gesund und wohlbehalten aus den Einsätzen zurückzukehren.
Auch Sergej M. hatte diese Hoffnung als er die Nachricht erhielt, für vier Monate im afghanischen Kunduz eingesetzt zu werden. Wenige Monate später stehe ich in der Sankt-Johannes-Baptist-Kirche in Bad Saulgau an seinem Sarg. Der junge Soldat befand sich gemeinsam mit anderen Kameraden in einem Transportpanzer auf Patrouille, als die Fahrzeugkolonne von Aufständischen angegriffen wurde. Ein Geschoss durchschlug den Panzer und tötete Sergej M.
Der Abschied von gefallenen Kameraden bedeutet für mich stets eine große persönliche Belastung. Auch bei dieser Trauerfeier spüre ich wieder ein Gefühl der Leere und der Hilflosigkeit in mir. Die von totaler Erschöpfung gezeichnete, trauernde Mutter des Gefallenen, die nicht minder verzweifelten anderen Familienangehörigen und die Tränen in den Gesichtern der anwesenden Kameraden von Sergej M. lösen auch bei mir Fragen aus, auf die ich keine Antworten weiß.
Szenenwechsel: Wenige Tage später mache ich einen unangemeldeten Truppenbesuch bei einem Familienbetreuungszentrum in einer Kaserne im Osten Deutschlands. Rund 300 Familienangehörige und Freunde sind gekommen, um sich aus erster Hand informieren zu lassen über die Situation der in Afghanistan eingesetzten Soldatinnen und Soldaten. Die Verantwortlichen haben sich sehr viel Mühe gegeben. Stellvertretend für den Kommandeur, der sich zurzeit selbst im Einsatz befindet, berichtet ein Reserveoffizier über die aktuelle Lage. Die Truppenpsychologin bereitet die Angehörigen auf die Rückkehr der noch im Einsatz befindlichen Söhne, Töchter, Ehemänner und Lebensgefährten vor. Auch der Standortpfarrer ist anwesend und steht mit Rat und Tat zur Verfügung.
Höhepunkt des Familientreffens ist eine Videokonferenz mit den verschiedenen Feldlagern in Afghanistan. Für wenige Minuten können die Angehörigen mit den Soldaten sprechen. Nach dem offiziellen Teil nutze ich die Möglichkeit zum Gespräch mit den Familien. Die Angehörigen zeigen sich sehr dankbar für die Einladung zu diesem großen Treffen des Familienbetreuungszentrums. Sie berichten mir, wie intensiv die telefonischen und schriftlichen Verbindungen mit ihren Söhnen, Töchtern, Männern und Freunden im Einsatz sind. Es sind vor allem die Mütter, die mir sehr offen und emotional bewegt von ihren Sorgen um die Töchter und Söhne erzählen. Eine Mutter drückt meine Hand und bittet mich sehr eindringlich, meine ganze Kraft dafür einzusetzen, dass für die größtmögliche Sicherheit ihres Sohnes alles getan wird.
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