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Wiederbewaffnung und Aufbau der Militärseelsorge

Zur Debatte in den ersten Jahren der Bundesrepublik Deutschland bis 1955

von Dr. Karl-Joseph Hummel, Kommission für Zeitgeschichte

Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß und Militärbischof Joseph Kardinal Wendel im Juni 1959 mit Offizieren beim Besuch im Zeltlager während der 12. Internationalen Soldatenwallfahrt in Lourdes
Foto: © KNA-Bild

Katholische Kirche und Wiederbewaffnung

Die von Konrad Adenauer geführte Bundesregierung und die Hohen Kommissare begannen im Sommer 1950 mit Gesprächen über allgemeine Sicherheitsfragen und einen künftigen Wehrbeitrag der Bundesrepublik Deutschland.

Dagegen gab es zunächst – quer durch alle Parteien und Bevölkerungskreise – schwerwiegende Bedenken. Gustav Heinemann, Präses der Synode der Evangelischen Kirche Deutschlands und CDU-Innenminister, verzichtete damals aus Protest sogar auf sein Ministeramt. Die Zahl der Katholiken, die eine Aufrüstung Deutschlands ablehnten, stieg von 33 Prozent (Oktober 1950) auf 39 Prozent (März 1951) und betrug im Februar 1952 immer noch 28 Prozent.

Der Vorsitzende der Fuldaer Bischofskonferenz, der Kölner Kardinal Josef Frings, hatte dagegen schon im Sommer 1950 unmissverständlich betont, dass es nicht nur Recht, sondern auch Pflicht der Christen sei, sich gegen Angriffe von außen zu verteidigen. Die Ansichten der meisten Bischöfe und Geistlichen stimmten grundsätzlich mit der von Bundeskanzler Adenauer verfolgten Politik überein. Mit Blick auf eine mögliche sowjetisch-bolschewistische Bedrohung bejahte die katholische Kirche in ihren offiziellen Äußerungen weitestgehend einen künftigen Wehrbeitrag der jungen Bundesrepublik. Die Kirche befürwortete auch die Verwirklichung einer übernationalen Außenpolitik und die Bemühungen um eine europäische Einigung, um die Grundlagen einer christlich geprägten europäischen Zivilisation zu bewahren und zu schützen.

Eine herausragende Rolle bei der Unterstützung der Westintegrations-Politik Adenauers durch die katholische Kirche spielte – im Auftrag des Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz – der Kölner Prälat Wilhelm Böhler. Böhler besaß gute Beziehungen zum Vatikan und stand in einem engen Vertrauensverhältnis zu Adenauer und dessen engstem Mitarbeiter Hans Globke. Vor allem Böhler war es zu verdanken, dass es zu keinem lautstarken öffentlichen Protest von Katholiken gegen den Verteidigungsbeitrag kam. Im März 1952, auf dem Höhepunkt der Wehrdebatten, erklärte die Katholische Arbeiterbewegung ihre volle Unterstützung des Verteidigungsbeitrages. Ihr folgten wenig später die Arbeitsgemeinschaft des katholischen Männerwerks in Deutschland und der Bund der Deutschen Katholischen Jugend, der damals eine Million Mitglieder besaß. Die Ablehnung innerhalb der katholischen Jugend blieb auf kleinere organisierte Gruppen (etwa „Quickborn“ mit über 5.000 Mitgliedern und die „Schar“ mit über 2.000 Mitgliedern) beschränkt, die sich ebenso wie die Pax-Christi-Bewegung weiter klar gegen die „Remilitarisierung“ wandten. Ihre Stimmen verhallten aber im eigenen Lager.

Artikel 4 des Grundgesetzes auf Glastafeln am Jakob-Kaiser-Haus, Berlin
Foto: © ullstein bild – CARO/Ruffer
Das supranationale „christliche Abendland“

Dem amtskirchlichen und dem organisierten katholischen Laienestablishment war es gelungen, die Gläubigen mehrheitlich im Sinne ihrer politischen Vorstellungen zu beeinflussen, weil sie mit der Formel vom „christlichen Abendland“ zunächst Gegensätzliches erfolgreich miteinander verbanden. Damit war nämlich nicht Europa als aktuelle politische Größe gemeint, sondern die Vorstellung formuliert, ein christlich fundiertes, supranationales Europa zu einem weltweit einflussreichen Kulturträger aufzubauen. Der anti-bolschewistische und anti-nationalistische „abendländische“ Konservativismus propagierte also ein zukunftsfähiges weltanschauliches Konzept, das das Nationalstaatsprinzip in Westeuropa zu überwinden suchte. Die Gegner der Wiederbewaffnung standen dadurch vor dem Dilemma, mit dem Wehrbeitrag auch eventuelle Fortschritte zu einem vereinigten Europa ablehnen zu müssen, den deutschen Pazifisten blieb nur die nationale Karte. Die Linke überließ also gezwungenermaßen die Verwirklichung „einer neuen und – gemessen an der deutschen Tradition – durchaus ‚fortschrittlichen’ Idee denen, die sie als restaurativ klassifizierten.“ (Doering-Manteuffel) Die „restaurative“ Konzeption dagegen hat mit dazu beigetragen, dass die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik im Kern eine Neubewaffnung wurde. Ohne die Meinungsführerschaft des „abendländischen“ Denkens in Regierung und Öffentlichkeit während der frühen fünfziger Jahre wäre die Adenauer-Position sehr viel schwerer durchzusetzen gewesen.

Der Aufbau einer katholischen Militärseelsorge

Ende Oktober 1950 wurde Theodor Blank zum „Beauftragten des Bundeskanzlers für die mit der Vermehrung der alliierten Truppen zusammenhängenden Fragen“ berufen. Bereits 1951 fanden erste Kontaktgespräche zwischen der „Dienststelle Blank“ und den beiden großen Kirchen statt – von katholischer Seite wurde der Bischof von Münster, Michael Keller, beauftragt, als Verhandlungspartner in Fragen der künftigen Streitkräfte und einer eventuellen Seelsorge in diesen Streitkräften der staatlichen Seite zur Verfügung zu stehen. Am 23. April 1951 erließ der Heilige Stuhl die Instructio „Solemne Semper“ über die Militärbischöfe, die Grundlage für alle weiteren Überlegungen in Deutschland.

Zwei Arbeiter lesen eine vom Verteidigungsministerium herausgegebene Broschüre, 1955.
Foto: © ullstein bild
Ein Jahr später lud die „Dienststelle Blank“ die beiden Kirchen ein, die Fragen einer künftigen Militärseelsorge für eine mögliche Verteidigungsgesetzgebung zu klären. Verhandlungsleiter auf staatlicher Seite war Ministerialdirigent Ernst Wirmer, der Bruder des hingerichteten Widerstandskämpfers Josef Wirmer. Als Vertreter der katholischen Kirche nahmen Bischof Michael Keller und Prälat Wilhelm Böhler teil. Als sachkundiger Berater wirkte der spätere erste Militärgeneralvikar Georg Werthmann mit, der 1936–1945 Feldgeneralvikar gewesen und 1951–1955 Chief Chaplain für die katholische Seelsorge beim amerikanischen Labor Service im US-Hauptquartier in Heidelberg war. Werthmann erarbeitete eine Denkschrift zur Struktur und Aufgabe der Militärseelsorge.

Die Bundesrepublik Deutschland wurde mit dem Inkrafttreten des Deutschland-Vertrages am 5. Mai 1955 ein weitgehend souveräner Staat. Als dann am 9. Mai 1955 das Vertragswerk für den NATO-Beitritt in Kraft trat und wenige Wochen später die »Dienststelle Blank« in das Bundesministerium für Verteidigung umgewandelt und Theodor Blank zum ersten Bundesverteidigungsminister berufen wurde, konkretisierten sich auch die Überlegungen für eine Zentrale der künftigen katholischen Militärseelsorge. Am 4. Februar 1956 wurde der Erzbischof von München und Freising, Joseph Kardinal Wendel, zum Katholischen Militärbischof für die Deutsche Bundeswehr ernannt, am 13. Februar 1956 erfolgte die kirchliche Ernennung Georg Werthmanns zum Generalvikar des Militärbischofs. Als rechtliche Basis diente das Soldatengesetz, das jedem Soldaten einen Anspruch auf Seelsorge und ungestörte Religionsausübung zusicherte.

Durch gemeinsame Themen und Interessen inzwischen Normalität: Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung, Militärgeneralvikar Walter Wakenhut und Erzbischof Robert Zollitsch, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, sind am 25. März 2009 in Berlin zu einem Gespräch zusammengekommen.
Foto: © KNA-Bild
Seit Frühjahr 1956 existierten sechs Wehrbereiche und dienstaufsichtführende Militärgeistliche beim Wehrbereichskommando. Die Standorte waren Kiel, Hannover, Düsseldorf, Mainz, Stuttgart und München. Im Juni entstanden in Andernach, Hammelburg, Ellwangen, Sonthofen, Grafenwöhr und Hamburg die ersten katholischen Soldatenheime. Nach langwierigen Beratungen konstituierte sich am 4. Oktober 1956 die Katholische Arbeitsgemeinschaft für Soldatenbetreuung (KAS) unter dem Vorsitz von Heinrich Köppler.

Das Katholische Militärbischofsamt und das Evangelische Kirchenamt für die Bundeswehr rangierten als „nachgeordnete Dienststellen“ des Verteidigungsministeriums. Sie gehörten damit nicht unmittelbar zum Ministerium, doch waren beide Kirchenämter den zentralen militärischen Dienststellen gleichgestellt und einheitlich aus drei Referaten (Seelsorge, Personal und Verwaltung) und einem Zentralbüro aufgebaut. Den Referaten I und II standen Militärdekane vor, Referat III und das Zentralbüro wurden von Verwaltungsbeamten geleitet. Das auf der Grundlage des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der evangelischen Kirche in Deutschland verabschiedete Gesetz über die Militärseelsorge vom 26. Juli 1957 ist in seinen beamtenrechtlichen Bestimmungen auch für die katholische Militärseelsorge gültig.

Eine praktische Beteiligung des deutschen Katholizismus bei der außenpolitischen Formulierung der bundesdeutschen Wiederbewaffnungspolitik ist nicht zu erkennen, in der innenpolitischen Wiederbewaffnungsdiskussion hat die Kirche aber durchaus einen wichtigen, begleitenden Beitrag geleistet. An den Militärseelsorgeverhandlungen ließ sich ablesen, dass die „Amtskirche“ die Vorstellung einer „Armee in der Demokratie“ guthieß und mitzutragen bereit war.

Dr. phil. Karl-Joseph Hummel
Direktor der Forschungsstelle der Kommission für Zeitgeschichte, Bonn
www.kfzg.de