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Wahlen in Deutschland und die Soldatenvon Oberstleutnant Dr. Burkhard Köster, Militärgeschichtliches Forschungsamt, Potsdam | Wahl zur Nationalversammlung,
Soldaten verteilen Wahlflugblätter,
3. Januar 1919 Foto: © ullstein bild | „Ein kostbares Dokument durfte der Koblenzer Stabsarzt Dr. Hans Lösken in der letzten Woche zu seinen Akten nehmen: Bundespräsident Heuss – gegengezeichnet: Franz Josef Strauß, Verteidigungsminister – sprach ihm ‚Dank und Anerkennung für die dem deutschen Volk geleisteten treuen Dienste’ aus.
Dass dem Stabsarzt Dr. Lösken schon für diesen kurzen Dienst an der Gesundheit der Landesverteidiger vom Staatsoberhaupt Dank gezollt wurde, hängt denn auch weniger mit Löskens militärmedizinischen Verdiensten als mit dem Entscheid zusammen, den der Bundespräsident im zweiten Teil seines Dank-Dokuments kund gab. Nach dem Dank für treue Dienste wurde nämlich dem Stabsarzt Lösken eröffnet, dass er in den Ruhestand versetzt worden sei. Der Grund für dieses abrupte Ende einer vielversprechenden Karriere: Lösken habe sich in den Rheinland-Pfälzischen Landtag wählen lassen.“
So hinterfragt der SPIEGEL in seiner Ausgabe vom 1. Juli 1959 mit ironischem Unterton die praktischen Folgen des 1957 im Soldatengesetz niedergelegten passiven Wahlrechts für Soldaten. Der Artikel geht sogar noch weiter: Damit sei „erhellt, dass ein Soldat, der nach amtlicher Definition ein Staatsbürger – mit allen Bürgerrechten – in Uniform sein soll, unter den geltenden Gesetzen der Bundesrepublik ein Bürger minderen Rechts ist.“
Frühe Überlegungen 1955
Für Soldatinnen und Soldaten des 21. Jahrhunderts ist es eine Selbstverständlichkeit, dass sie aktiv wählen und sich passiv in den Bundestag, einen Landtag oder eine Kommune wählen lassen dürfen. In den Anfangstagen der jungen Bundeswehr waren diese Grundrechte jedoch heiß umstritten.
Die Protokolle der 87. Kabinettssitzung vom 22. Juni 1955 legen ein beredtes Zeugnis für die Diskussionen im politischen Deutschland der Zeit ab: „Der Bundeskanzler [Adenauer] erklärt, ein uneingeschränktes passives Wahlrecht für Soldaten sei undenkbar, weil es zu einer gefährlichen Politisierung der Streitkräfte führen würde.“ Im Wahljahr 2009 würde wohl eine solche Erklärung der Bundeskanzlerin für politische Unruhe sorgen. Im Sommer 1955 spiegelte sie dagegen eine Position wider, der sich damals nahezu die gesamte Bundesregierung hätte anschließen können. Selbst das aktive Wahlrecht wurde von einigen Kabinettsmitgliedern, insbesondere der mitregierenden Deutschen Partei (DP) abgelehnt.
Im Rückblick überrascht es zunächst schon, dass nur sechs Jahre nach der Verabschiedung des Grundgesetzes der Artikel 38 nicht mehr für alle Staatsbürger gelten sollte. Die künftigen Soldaten hätten demnach gemäß der Mehrheitsposition vielleicht noch wählen, nicht aber gewählt werden dürfen. War dieser Ansatz überhaupt verfassungskonform? Der Bundesminister für besondere Aufgaben, Franz Josef Strauß, erkannte sofort die Problematik und sprach sie während der Kabinettssitzung im Juni 1955 offen an. Sollte das Wahlrecht untersagt werden, so seine Stellungnahme, könne „das Bundesverfassungsgericht einzelne Teile des Soldatengesetzes aufheben“. Aus einer formal juristischen Betrachtungsweise schien es nicht sinnvoll, ein Soldatengesetz zu erlassen, das mit einer hohen Wahrscheinlichkeit anschließend vom höchsten deutschen Gericht wieder kassiert würde.
| Plakat der Deutschen Volkspartei (DVP), 1919 Foto: © ullstein bild, Archiv Gerstenberg | Dessen ungeachtet, endete die Kabinettsbehandlung des Themas im Juni 1955 zunächst mit dem als Kompromiss gedachten Gesetzesentwurf, das aktive Wahlrecht unangetastet zu lassen, das passive Wahlrecht für Bund, Länder und Kommunen jedoch einzuschränken. Damit hätte ein Berufssoldat schon mit der Aufstellung zur Wahl aus dem aktiven Dienst scheiden müssen, und zwar „ohne das Recht der Rückkehr“ in die Streitkräfte. Zeitsoldaten sollten mit ihrer Aufstellung als Kandidat bei halbem Sold entlassen werden.
Doch selbst diesem Kompromiss versagte Vizekanzler Dr. Franz Blücher (FDP) in der abschließenden Abstimmung seine Stimme. Er blieb weiterhin gegen jedes Wahlrecht. Mit der Mehrheit der anderen Kabinettsmitglieder war jetzt aber ein erster Weg bezeichnet, wie das künftige Soldatengesetz in diesem Punkt aussehen könnte.
Parlamentarische Vielstimmigkeit
Nicht nur in der Bundesregierung, auch in den nun folgenden Beratungen in Bundesrat, Rechtsausschuss, Beamtenrechtsausschuss und Verteidigungsausschuss wurde das Thema kontrovers diskutiert. Die Parlamentarier präsentierten und diskutierten eine Fülle von Lösungsansätzen. Die Bandbreite ging dabei von Verbot jeden Wahlrechts, über nur aktives Wahlrecht, aktives aber eingeschränkt passives Wahlrecht, bis hin zu aktivem und passivem Wahlrecht für alle Soldaten gleichermaßen. Hinzu traten die Fragen, ob erdiente Pensionsansprüche wie bei den Beamten erhalten bleiben sollten und ob nach der Wahl die Rückkehr in die Streitkräfte offen stünde.
Diese Vielstimmigkeit legt im historischen Rückblick zwei Fragen nahe: Welche Gründe sprachen aus Sicht der Parlamentarier für den angedachten tiefen Eingriff in die Grundrechte des künftigen Staatsbürgers in Uniform, und lassen sich die Positionen vielleicht an Parteien festmachen?
Das Soldatengesetz
Um die Antworten richtig einordnen zu können, muss man sich zudem vergegenwärtigen, dass auch andere Inhalte des künftigen Soldatengesetzes strittig waren. So diskutierten die Parlamentarier in den Ausschüssen z. B. die Frage der Verpflichtungsform, des Eids, der Stellung des Vertrauensmannes, Durchführung und Inhalte der politischen Bildung (der staatsbürgerlichen Unterrichtung), das Vorgesetztenverhältnis oder auch Befehlsgrenzen und Gehorsamspflicht mehr oder weniger kontrovers. Dabei zeigte sich nicht selten der Bundesrat als dasjenige Gremium, das dem zentralen Anliegen der Inneren Führung im Sinne Baudissins am nächsten kam, die militärische Ordnung an das zivile Umfeld anzugleichen. Es ging um eine „möglichst bürgernahe Position des Soldaten“. Das Soldatengesetz sollte nur wo militärisch unvermeidbar, grundgesetzliches Recht einschränken. So wurde sogar im Juli 1955 bei der Eidfrage vom Bundesrat argumentiert, dass ein Eid nicht notwendig sei, sondern eine bloße Verpflichtung genüge, um „eine bestimmte Unterschiedlichkeit zwischen der Zugehörigkeit zur Wehrmacht [gemeint war die spätere Bundeswehr] und allen anderen Lebensbereichen“ gar nicht erst aufkommen zu lassen. Es fügt sich zu der Beobachtung, dass der Bundesrat auch in der Frage des passiven Wahlrechts nicht mit dem ersten Entwurf des Verteidigungsministeriums übereinstimmte.
| Am 27. September ab 18 Uhr wird wieder einmal der Wahlausgang vorgestellt, diskutiert und kommentiert werden. Foto: © ZDF / Svea Pietschmann | Annäherung 1956
Während sich im Verlauf der Beratungen bis Anfang 1956 die Positionen in den meisten Punkten nach und nach annäherten, bestanden weiterhin Differenzen bei der Regelung des Wahlrechts. Quer durch die Fraktionen formulierten Parlamentarier im Rechtsausschuss, im Beamtenrechtsausschuss, aber auch im Kabinett ihre Sorge vor einer zu starken Dominanz von Soldaten einer zahlenmäßig starken Garnison in einer kleinen Kommune. Dahinter stand unausgesprochen die Befürchtung, Offiziere könnten ihre Stellung ausnutzen und sich von ihren Soldaten in die Kommunen wählen lassen. Der Obmann der SPD-Fraktion im Rechtsausschuss, verhalten unterstützt vom CDU/CSU-Ausschussvorsitzenden, zweifelte gar die „politische Redlichkeit von Offizieren“ an. Für sie stand außer Frage, dass schon mit der Kandidatur die Entlassung von Berufssoldaten zu erfolgen habe. Nur so sei eine unangemessene politische Einflussnahme zu verhindern. Hier mag die unmittelbare persönliche Erfahrung des gerade erst ein Jahrzehnt zurückliegenden Weltkriegs und der Wehrmacht im NS-Staat maßgebend gewesen sein.
Andere und letztlich überzeugende Stimmen in beiden Parteien setzten aber auf ein Integrationskonzept. Sie wiesen während der Ausschusssitzungen immer wieder warnend darauf hin, dass mit der Eingrenzung des passiven Wahlrechts von vornherein die Gefahr einer festgelegten Isolierung der Soldaten von der Gesellschaft bestehe. Um dem aktiv entgegen zu wirken und den neuen Soldatentypus des Staatsbürgers in Uniform zu bekommen, dürften für Soldaten nur die gleichen Bestimmungen wie für Beamte gelten.
Aktives und Passives Wahlrecht
In den Beratungen im Verteidigungsausschuss im Februar 1956 wurde dann nach langem Ringen eine quer durch die Parteien getragene Lösung der Wahlrechtsfrage gefunden. Selbst im letzten strittigen Punkt, der Frage nach dem Zeitpunkt der Statusänderung, also die Frage, ob schon bei Erklärung der Kandidatur oder erst nach der Annahme der Wahl der Soldat zur Ruhe gesetzt werde, wurde nun im Sinne einer Angleichung an das Beamtenrecht gelöst. Ende Februar war klar, dass die Entscheidung zugunsten eines umfassenden Wahlrechts im künftigen Soldatengesetz gefallen war. Die Soldaten der jungen Bundeswehr sollten die Freiheitsrechte im Dienst erfahren können, für die sie in letzter Konsequenz bereit sein mussten, ihr Leben zu opfern.
Entscheidend anders zum Entwurf des Jahres 1955 war nun ein Jahr später, dass der Soldat erst nach seiner Wahl aus dem aktiven Dient ausscheiden musste. Die Rückkehr in die Streitkräfte stand ihm nach Ende seines Mandats auch offen. Die Einschränkung, eine Berufsausübung nach erfolgter Wahl ruhen zu lassen, entsprach nun der Regelung für alle beamteten Staatsdiener. Daher ist der Soldat auch nicht ein Bürger minderen Rechts, wie es der eingangs zitierte Spiegel-Artikel aus dem Jahr 1959 wertete. Vielmehr zeigte sich das Soldatengesetz in seiner erlassenen Form vom Leitbild des Staatsbürgers in Uniform durchdrungen, auch beim Wahlrecht.
Oberstleutnant Dr. Burkhard Köster,
Leiter des Forschungsbereichs III in der Abteilung Forschung des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes, www.mgfa.de
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