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„Außenpolitik hat in den letzten Jahren selten eine Bundestagswahl entschieden“Die Wählergruppe der Soldatinnen und Soldaten ist viel zu klein | Univ.-Prof. Dr.
Karl-Rudolf Korte,
Direktor der
NRW School of
Governance Foto: © NRW School of Governance / Treibel | Kompass: Am 27. September 2009 wird in Deutschland der 17. Deutsche Bundestag gewählt. Der Wahlkampf, der sich jetzt in der heißen Phase befindet, verspricht interessant und kontrovers zu verlaufen. Welche politischen Themenfelder, welche Politikkonzepte werden Ihrer Meinung nach den Ausgang der diesjährigen Bundestagswahlen entscheiden?
Prof. Korte: Das Superwahljahr 2009 spielt sich vor dem Hintergrund der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise ab. Das Zeitklima ähnelt dem eines Epochenbruchs, vergleichbar mit der formativen Phase beim Mauerfall 1989. Deshalb werden die Parteien die Wahl gewinnen, die die Krise am besten erklären können. Union und FDP punkten derzeit mit ihrer Kompetenz und Erfahrung im Finanz- und Wirtschaftssektor. Generell können wir die Rückkehr des Primats der Politik beobachten. Populistische Töne, mit denen die Linke noch 2008 Erfolg hatte, sind beim Wähler hingegen nicht mehr gefragt.
Kompass: Ihrer bisherigen Erfahrung nach: Warum spielen außen- und sicherheitspolitische sowie verteidigungspolitische Themenfelder im Wahlkampf eher eine nachrangige Rolle? Können Politiker mit diesen Themen kaum Stimmen gewinnen?
Prof. Korte: In der Außen- und Verteidigungspolitik sind die programmatischen Differenzen zwischen den Parteien kaum wahrnehmbar. Bis auf die Linke gibt es praktisch einen breiten Konsens zwischen allen Fraktionen im Bundestag über die Grundlinie der deutschen Außenpolitik. Im Wahlkampf spielen eher polarisierende Themen eine Rolle, die die Bürgerinnen und Bürger direkt betreffen wie Arbeitslosigkeit, Steuern oder eben die Wirtschafts- und Finanzkrise. Außenpolitik hat in den letzten Jahren selten eine Bundestagswahl entschieden. Schröders Nein zum Irakkrieg 2002 war da die Ausnahme.
| Deutscher Bundestag, 23. Mai 2009 Foto: © John Macdougall/AFP/Getty Images | Kompass: Was kann eine Forderung, wie z. B. "Raus aus Afghanistan!" mit Blick auf Wählerstimmen bringen? Kann damit gepunktet werden, oder spielt diese Forderung keine Rolle?
Prof. Korte: Die Mehrheit der Deutschen ist gegen den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan, das belegen aktuelle Umfragen. Trotzdem spielt es bislang im Wahlkampf keine Rolle. Das liegt sicherlich daran, dass trotz der vielen Todesfälle die akute Lage der Bundeswehr am Hindukusch den wenigsten Bürgern wirklich bewusst ist. Dennoch spielen einige Politiker mit dem Gedanken, den sofortigen Abzug der deutschen Truppen zu fordern. In der SPD konnten sich die Befürworter einer solchen Strategie aber nicht gegen Steinmeier und Struck durchsetzen.
Kompass: Haben Ihrer Meinung nach die Parteien die Soldaten und Soldatinnen eigentlich im Blick, oder ist diese Zielgruppe für die um Wählerstimmen ringenden Parteien eher zu vernachlässigen? Sind Senioren und Seniorinnen als Zielgruppe aus Sicht der Parteien nicht bedeutender? Wer entscheidet eigentlich den Wahlausgang? Stammwähler, Wechselwähler oder gar die Nichtwähler?
Prof. Korte: Ein Wahlkampf verfolgt idealtypisch drei Ziele. Um eine Wahl zu gewinnen, muss eine Partei das eigene Stammwählerpotenzial optimal mobilisieren, Wechselwähler binden und den Anteil von Nichtwählern bei der gegnerischen Stammwählerschaft erhöhen. Beide Volksparteien haben trotz ihrer stetigen Selbstverzwergung in den letzten Jahren weiterhin den Anspruch, möglichst alle Wähler anzusprechen. Das schließt Soldaten wie Senioren gleichermaßen ein. Kleinparteien versuchen hingegen gezielt mit der Vertretung bestimmter Klientelinteressen Erfolg zu haben. Die neue Piratenpartei vertritt beispielsweise bewusst nur die Interessen von online-Usern. Eine Partei, die sich dezidiert für die Belange der Soldatinnen und Soldaten stark machen würde, hat sich hingegen in der Bundesrepublik bislang noch nicht formiert, die Bevölkerungsgruppe ist viel zu klein.
Das Interview führte Josef König.
Univ.-Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte studierte Politikwissenschaft, Germanistik und Pädagogik in Mainz und Tübingen. 1983 erwarb er das Staatsexamen und 1988 promovierte er an der Universität Mainz. 1997 folgte die Habilitation im Fach Politische Wissenschaften an der Universität München. Nach Vertretungsprofessuren in Trier, Köln, München und Duisburg ist er seit 2002 Professor für Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen im Fachgebiet „Politisches System der Bundesrepublik Deutschland und moderne Staatstheorien“. 2006 gründete er die NRW School of Governance, deren Direktor er seitdem ist. Die Forschungsgruppe Regieren leitet Professor Korte seit 2000.
Aktuelle Publikationen, zuletzt erschienen:
• Wahlen in Deutschland, 6. Auflage, Bonn
• Wahlen in Nordrhein-Westfalen, Schwalbach
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