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Prinzip der Doppelwirkung | Klaus Ebeling, Projektleiter Ethik im Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr | In vielen neueren moralphilosophischen oder moraltheologischen Handbüchern kann man zwar keinen Artikel zu diesem einst prominenten ethischen Begriff mehr finden. Sein Gegenstand aber ist keineswegs von gestern; er gehört zum Problemkern ethischer Überlegung. Denn unsere Handlungen bewirken allenfalls selten nur das, was wir eigentlich wollen (sollen und dürfen) und konfrontieren uns so ständig mit der Frage nach der Verantwortbarkeit ihrer „Nebeneffekte“.
Schädigung: „außerhalb der Absicht“
Das wohl älteste Lehrstück zum „Prinzip der Doppelwirkung“ (PDW) stammt von Thomas von Aquin (1225–1274), dem großen Theologen der mittelalterlichen Scholastik (Summa theologica II-II q64 a7 ad c). Am Beispiel einer Notwehrhandlung, die auf die Erhaltung des eigenen Lebens abzielt, dabei aber den Angreifer tötet, bestimmt er als entscheidende Bewertungskriterien (1) das Handlungsziel (Ist die beabsichtigte Wirkung unzweideutig gut?) und (2) das Verhältnis zwischen erstrebter und unbeabsichtigter Wirkung (Ist der gute Zweck wirklich der „entsprechende Grund“ für eine ungewollt mitbewirkte Schädigung? Gibt es keine bessere, hier: gewaltärmere Handlungsmöglichkeit?)
Fragen zum genaueren Verständnis dieser Bedingungen, vor allem auch zu deren missbräuchlicher Nutzung (etwa im interessegeleiteten Gerede über „Kollateralschäden“ militärischer Einsätze), haben seither zu vielfach ausdifferenzierten und kontrovers diskutierten Formulierungen des PDW motiviert. Sie wenden sich durchgängig gegen gesinnungsfixierte Verantwortungsflucht, also die Suggestion, dass man für die vorhergesehenen bzw. vorhersehbaren Nebenfolgen einer intentional guten Handlung nicht verantwortlich sei. Als Hauptproblem erscheint zumeist jedoch die Präzisierung der Anforderungen an den Abwägungsprozess.
Rechtfertigung: „entsprechender Grund“
Eine scharfsinnige Neuinterpretation des PDW ist Peter Knauer SJ gelungen. Deren negativ formulierte definitorische Zusammenfassung lautet:
„(1) Eine Handlung ist nur dann ‚in sich schlecht’, wenn man in ihr einen Schaden ohne ‚entsprechenden Grund’ zulässt oder verursacht. Der Grund einer Handlung ist kein ‚entsprechender’, wenn der (universal zu formulierende) angestrebte Wert oder Werteverbund auf die Dauer und im Ganzen untergraben oder wenn man einen (universal zu formulierenden) Schaden oder Verbund von Schäden in einer Weise zu vermeiden sucht, die ihn auf Dauer und im Ganzen nur vergrößert.
(2) Für den Fall der Verknüpfung mehrerer Handlungen gilt, dass eine Handlung auch dann ‚schlecht’ ist,
a) wenn der Handelnde sie durch eine andere eigene ‚in sich schlechte’ Handlung ermöglichen will;
b) wenn der Handelnde durch sie eine andere eigene ‚in sich schlechte’ Handlung ermöglichen will.“
(Handlungsnetze, Frankfurt/Main 2002: 69)
Mit dieser Formulierung können zwei starke Problemquellen des PDW verschlossen oder wenigstens eingedämmt werden: Weitblickend ausgerichtet auf „Nichtkontraproduktivität“ (bzgl. der Sach-, Sozial- und Zeitdimension des Handelns) vermeidet sie zum einen die wegen konkurrierender Beurteilungsmaßstäbe und Rangordnungen zunehmend konfliktträchtige Schwierigkeit, Güter und Werte verschiedenster Art zu vergleichen und verbindlich gegeneinander abzuwägen. Zum anderen schützt sie mittels der genauen Unterscheidung der Doppelwirkung einzelner Handlungen vom Zweck-Mittel-Verhältnis verknüpfter Handlungen das Argument des entsprechenden Grundes vor dem Missverständnis, es rechtfertige Ausnahmen vom Prinzip, dass ein guter Zweck kein schlechtes Mittel heiligt.
Zu bedenken bleibt jedoch auch hier die Binsenweisheit, dass keinem Prinzip die Garantie richtiger Anwendung eingeschrieben ist. Die Zusammenführung von Norm- und Sachwissen ist eine unvermeidbar riskante Unternehmung. Sie braucht den geübten Blick praktisch erfahrener Urteilskraft und oft genug auch noch das, was allerdings ängstliche Selbstsorge nicht gerade selten wieder zerstört – Mut.
Klaus Ebeling
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