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Durch wen fiel die Mauer?

Prof. Dr. Hans Joachim Meyer, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), seit 1964 tätig an der Humboldt-Universität zu Berlin, ab 1985 als außerordentlicher Professor, 1990 Minister für Bildung und Wissenschaft der DDR, 1990–2002 Sächsischer Staatsminister für Wissenschaft und Kunst
Foto: privat
In den Abendstunden des 9. November 1989 geschah in Berlin am Grenzübergang Bornholmer Straße etwas völlig Unerwartetes, ja, Unvorstellbares.

Seit 1961 war hier die bestbewachte Grenze der Welt. Was die SED-Führung „antifaschistischer Schutz-wall“ nannte, war in Wahrheit eine Mauer, welche die Menschen gewaltsam am Verlassen der DDR hindern sollte. Es war also keine Mauer gegen eine Bedrohung von außen, sondern gegen den Willen zur Selbstbestimmung im Innern. Die Machthaber in der DDR sahen darin eine so große Gefahr, dass sie die Mauer durch Wachtürme, Todesstreifen und Hunde ergänzten. Wer dennoch die Mauer zu überwinden suchte, riskierte sein Leben, und tatsächlich fanden dort viele den Tod. Am Abend des 9. November 1989 jedoch begehrte am Grenzübergang Bornholmer Straße eine wachsende Zahl von Menschen, von Ostberlin nach Westberlin gehen zu können. Sie beriefen sich auf eine Meldung, dass die Mauer offen sei. Die Grenzsoldaten hatten keine entsprechenden Befehle. Aber schließlich ließen sie die Menschen durch. Die anderen Grenzübergänge folgten bald ihrem Beispiel.

Wie konnte so etwas geschehen?

Wie war es möglich, dass an diesem Abend mitten in Berlin und mitten in Europa die Geschichte, die seit Jahrzehnten in Konfrontation erstarrt war, vor den Augen der Welt wieder in Bewegung geriet und in weniger als einem Jahr zur europäischen Verständigung und zur deutschen Einheit führte? Am Anfang dieses geschichtlichen Vorgangs stand die friedliche Revolution in der DDR.

Ende September und Anfang Oktober hatten Dresden, Leipzig und Ostberlin, aber auch kleinere Städte, wie insbesondere Plauen, Demonstrationen und heftige Auseinandersetzungen erlebt. Die SED-Führung hatte versucht, mit dieser Bedrohung ihrer Macht gewaltsam fertig zu werden. Nun blickte alles auf Leipzig, wo sich am Montag, dem 9. Oktober, wie schon seit längerer Zeit, Menschen in den Kirchen zum Gebet und auf den Straßen zu Demonstrationen versammeln würden. Bisher war das eine überschaubare Zahl geblieben. Aber nun stieg die Spannung und die Staatsmacht drohte mit Gewalt. Was würde geschehen? Als sich in den Abendstunden trotz der Gefahr 70.000 Menschen im Leipziger Stadtzentrum unter den Rufen „Wir sind das Volk“ und „keine Gewalt“ versammelten und die Staatsmacht nicht dagegen einschritt, war dies eine wirkliche Wende. Denn danach nahmen sich die Menschen in der DDR die Meinungsfreiheit, die Demonstrationsfreiheit und die Organisationsfreiheit.

Foto: © AP Photo / Lionel Cironneau
Honecker musste zurücktreten, und seinem Nachfolger gelang es nicht, die Macht der SED wieder zu festigen. Im Gegenteil: Täglich stieg die Kritik an den Zuständen und am System der DDR. Freie Wahlen wurden gefordert. Und es fehlte immer noch die Reisefreiheit.

Am 4. November 1989 versammelten sich auf dem Alexanderplatz in Ostberlin Hunderttausende Menschen zur größten Kundgebung in der Geschichte der DDR. Neben Bürgerrechtlern sprachen dort auch Verteidiger des SED-Regimes, aber sie hatten keine Chance. Es war völlig eindeutig, auf wessen Seite die Demonstranten waren. Und auch die SED-Führung hatte nur noch wenige Illusionen. Insgeheim fürchtete sie einen Marsch auf die Mauer. Auf eine sowjetische Intervention konnte sie nicht mehr hoffen. Verzweifelt versuchte sie, durch neue rechtliche Regelungen den Wunsch nach Reisefreiheit zu kanalisieren, doch erntete sie damit nur heftigen Protest. In dieser Situation war es nur noch eine Frage weniger Tage, wann die Mauer gegenstandslos werden würde.

Was dann tatsächlich geschah, ist eine Sache des Zufalls und für den Gang der Geschichte nebensächlich. Jedenfalls ist die Mauer weder durch den Irrtum des Politbüromitglieds Schabowski geöffnet worden, noch durch eine den realen Ereignissen vorauseilende Meldung aus den Westmedien. Es war der Wille der Menschen in der DDR, die im Herbst 1989 aufgebrochen waren und am 9. Oktober in Leipzig den entscheidenden Sieg errungen hatten, welcher die Mauer zu Fall brachte. Die Mauer war nicht mehr zu halten. Und die Grenzsoldaten, die den Menschen schließlich den Weg frei gaben, hatten einen genaueren Blick auf die reale Situation als manche, welche heute diese Geschichte meinen deuten zu können. Denn dies ist die historische Wahrheit: Der 9. Oktober 1989 in Leipzig war der Tag der Freiheit. Der Mauerfall am 9. November 1989 war dessen unaufhaltsame Konsequenz.

Prof. Dr. Hans Joachim Meyer

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