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"Gerechter" Krieg

Dr. Matthias Gillner, Dozent für Katholische Sozialethik an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg
Es ist weder besonders originell noch sachlich angemessen, moderne Phänomene mit angestaubten Etiketten zu versehen oder neu-artige Probleme mit veralteten Erklärungs-, Deutungs- und Be-gründungsmustern zu bearbeiten. Dennoch wird zur Frage der Legitimation militärischer Gewalt heute wieder erstaunlich oft die bereits ausgemusterte Lehre vom „gerechten“ Krieg herangezogen. War während der Blockkonfrontation zwischen der NATO und dem Warschauer Pakt noch die Legitimität des Verteidigungskriegs umstritten, so werden jetzt „Humanitäre Interventionen“ (Kosovo), Terrorbekämpfung (Afghanistan) und sogar der Präventivkrieg (Irak) mit dem alten Paradigma des „bellum iustum“ moralisch gebilligt. Doch die begriffliche Verknüpfung zwischen einem großen Übel und einem positiven Wert täuscht da-rüber hinweg: Der Krieg ist ein grausames Geschehen, die „Hölle auf Erden“ und daher niemals gerecht! – Wenngleich mit diesem klaren Diktum nicht schon über die Frage entschieden ist, ob es Konfliktsituationen geben kann, in denen die Anwendung militärischer Gewalt gerechtfertigt ist.

Ambivalenz und Kriteriologie

Die Lehre vom „gerechten“ Krieg ist von Beginn an mit einer starken Ambivalenz behaftet: Einerseits zielt sie auf Gewaltminimierung und kritisiert damit eine gegen rationale Einwände immunisierte Idee „Heiliger Kriege“ (Gott will es!), andererseits relativiert sie jedoch das frühchristliche Gewaltlosigkeitsideal. So reduziert der von den mittelalterlichen Rechtssammlungen zum Kronzeugen der Lehre vom „gerechten“ Krieg erhobene Kirchenvater Augustinus (354–430) die Aufforderung zum Gewaltverzicht aus der Bergpredigt Jesu auf eine innere „Bereitschaft des Herzens“. Gleichzeitig erlaubt er – in Anlehnung an Cicero (106–43 v. Chr.) – die Kriegführung zur Ahndung von Unrecht oder zur Wiedererlangung geraubter Güter. Das Ziel jeder kriegerischer Handlung aber müsse die Rückkehr des Friedensstörers in die von ihm verlassene Ordnung bleiben. Insofern dürften auch nur solche Mittel angewandt werden, die zur Umkehr mahnen, nicht aber zu Rachegelüsten ermuntern. Als Strafgericht bleibt ein „gerechter“ Krieg für Augustinus auf die staatliche Autorität beschränkt. In den Beichtspiegeln und theologischen Traktaten des Mittelalters, vor allem bei Thomas von Aquin (1225–1274), werden die Kriterien des gerechten Grundes, der richtigen Intention, der legitimen Autorität, der Verhältnismäßigkeit der Mittel und der „ultima ratio“ verfeinert. Die großen Diskussionen über die Rechtmäßigkeit von Kriegen, wie etwa die Disputation um die Legitimität der Eroberung Lateinamerikas am spanischen Hof (1550–1552) zwischen Sepúlveda und Las Casas, zeigen jedoch auch, dass diese Lehre sowohl als Legitimations-figur missbraucht wie als kritischer Referenzrahmen genutzt werden konnte.

Durch das freie Kriegsführungsrecht des Fürsten wird der Krieg im klassischen Völkerrecht der Neuzeit einer moralischen Bewertung entzogen, sofern er nur formal korrekt erklärt und das Recht im Krieg (ius in bello) eingehalten wird.

Prozessorientierung und Reformulierung

Die Wiederherstellung eines als weitgehend gerecht beurteilten politischen Zustandes und die Formulierung von Kriterien, die es notfalls erlauben, den Rechtsbrecher mit gewaltsamen Mitteln in die Rechtsordnung zurückzuholen, zeigen das statische Friedensverständnis der Lehre vom „gerechten“ Krieg.

Weltweite wirtschaftliche Ungerechtigkeit, sich ausweitende Flüchtlingsbewegungen oder gewaltsam eskalierende innerstaatliche Konflikte zeugen von der gegenwärtigen Friedlosigkeit unserer Welt. Dieser moralisch inakzeptable „status quo“ erzwingt geradezu einen grundlegenden Perspektivwechsel. Nur in der Blickrichtung des gerechten Friedens, in der es der Politik konsequent darum geht, Not zu lindern, Unfreiheit abzubauen und Gewalt einzudämmen, bleiben die klassischen Kriterien als kritische „Prozessmusterfunktion“ (Ebeling) weiterhin relevant.