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Keine unüberwindliche Grenze

Der Beitrag der katholischen Kirche und Verbände zum Zusammenhalt und -wachsen von Ost und West

An den Mikrofonen die Bischöfe von Dresden-Meißen, Joachim Reinelt und Gerhard Schaffran, sowie der damalige Bischof von Berlin, Joachim Kardinal Meisner
Foto: © KNA-Bild
Die Mauer ist vor 20 Jahren gefallen, aber in den Erinnerungen existiert die DDR noch. Die früheren „Patenschaften“ in der damaligen Bundesrepublik für christliche Gemeinden und Gruppen jenseits des Eisernen Vorhangs veränderten sich schon vor 1989 zur „Partnerschafts“arbeit – und diese wurde auch danach nicht überflüssig.

Henny Engels, unter anderem 1976–1982 Diözesanvorsitzende des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) Köln und anschließend bis 1984 stellvertretende BDKJ-Bundesvorsitzende, blickt heute von einem (Ost-)Berliner Büro zurück auf über dreißig Jahre wechselvoller Grenz-Erfahrungen. Ein großer Teil der Hilfen, aber auch der Kontakte verlief leider in einer „Einbahnstraße“ von West nach Ost, vor allem in Form vieler Reisen in den Ostblock: in die Hauptstadt Ost-Berlin, in die Messestadt Leipzig, später aber auch für längere Aufenthalte zu gemeinsamen Zeltlagern und Gruppenleiter-Schulungen in Ungarn, also an Orte, wo die Christen sich überhaupt direkt begegnen konnten. Zu diesen Fahrten, die nach dem Grundlagenvertrag von 1972 nach und nach erleichtert wurden, gehörte immer auch das „Schmuggeln“ von Informationen, Büchern und auch „Westgeld“, an die gerade die katholischen Laien und Jugendlichen sonst kaum gekommen wären.

„Die Risiken an der innerdeutschen Grenze und in der DDR waren schwer einschätzbar – unsere Fahrten mit der Bahn oder Privatautos hatten immer auch etwas von Abenteuer und Versteckspiel“, sagt Henny Engels in der Rückschau. Besonders „spannend“ waren natürlich die 80er-Jahre, in denen es u. a. 1985 einen Jugendkongress in der DDR gab, 1986 das Pastoralschreiben der Berliner Bischofskonferenz und 1987 das Katholikentreffen in Dresden – alles begleitet, unterstützt und mit partnerschaftlichem Interesse verfolgt aus dem Westen, in dem es ja in dieser Zeit der Friedensbewegung durchaus ebenfalls spannend zuging.

An diese Jahre erinnert sich auch Reinhard Griep, seinerzeit in der Pax-Christi-Bistumsstelle in Osnabrück tätig. Sie knüpfte Kontakte zur „Aktion Sühnezeichen / Friedensdienste“ in Ost-Berlin. Schon bald fanden heimliche Ost-West-Treffen unter dem Dach der evangelischen Kirche statt. Und ziemlich schnell stellten die jungen Leute, alle zwischen 20 und 30 Jahre alt, gemeinsame Interessen fest. Freundschaften entstanden, es bildeten sich sogar Ost-West-Paare, die später heirateten. Man lernte Jugendliche kennen, die für ihre Oppositionshaltung berufliche Nachteile in Kauf nahmen, nicht studieren durften, weil sie nicht zur Jugendweihe gegangen waren. Diesen Gesprächen, sagt Grieß, verdanke er einen differenzierten Blick auf die DDR: „Geborgenheit konnte der SED-Staat nur denjenigen vermitteln, die sich angepasst haben. Kritikern wurden schnell die Grenzen aufgezeigt.“

Kopfschütteln beim Blättern in einer Stasiakte: Reinhard Griep hat die Akte einer befreundeten DDR-Friedensaktivistin kopiert, weil darin auch seine Besuche mit westdeutschen Jugendgruppen dokumentiert sind. Griep wurde sogar aus nächster Nähe fotografiert. „Ich habe nichts gemerkt“, sagt er. Einerseits kann er über viele banale Dinge schmunzeln, zum Beispiel, dass der Inhalt des Kofferraums akribisch aufgelistet wurde, von der Thermoskanne bis zum „Bier westdeutschen Fabrikats“. Andererseits gibt es Seiten in dieser Stasiakte, „die faschistoide Züge tragen“. Gesichts- und Kopfformen observierter Personen sind angekreuzt wie in einem Katalog.

Der finanzielle Mangel der Kirchen und Zusammenschlüsse – Verbände und feste Gruppen gab es ja kaum – weckte im Westen manche Ideen, z. B. den Verkauf von Weihnachtskarten beim BDKJ oder das Sammeln von ausländischem Geld nach der Urlaubssaison, um die Freunde und Partner unterstützen zu können, oft auch über das Bonifatiuswerk.

Nach der friedlichen Revolution standen die Treffen von Pax Christi und „Aktion Sühnezeichen Ost“ auf dem Prüfstand. Viele der ostdeutschen Mitglieder mussten sich beruflich neu orientieren, wurden arbeitslos und fanden sich als frühere Oppositionelle in einer gewissen Beliebigkeit der westdeutschen Gesellschaft wieder. „Wir waren auf einmal in der Krise und haben überlegt, ob wir weitermachen“, erzählt Reinhard Griep. Es stellte sich für alle Beteiligten auch die Frage nach dem künftigen Gesellschaftsmodell. „Wir wollten keinen Anschluss der DDR an die Bundesrepublik, sondern glaubten an die Reformierbarkeit des Sozialismus“, sagt Griep.

Auch Henny Engels – in der „Wendezeit“ bei der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd), jetzt beim Deutschen Frauenrat beschäftigt – bedauert die verpassten Chancen, kirchlich und gesellschaftlich nicht mehr verändert zu haben; vor allem aber die Erfahrungen der Katholiken zu würdigen, die im Osten unter der Diktatur standgehalten hatten, in einer Kirche, die schon damals keine Volkskirche mehr war.

Jörg Volpers,
mit Dank an Henny Engels, Reinhard Griep und Anja Todt für Zeitzeugenberichte und Hintergrundinformationen