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Recht und Einsatz"Von Rechtsunsicherheit kann keine Rede sein.“ | Ministerialdirektor
Dr. Dieter
Weingärtner,
Leiter Abteilung
Recht im BMVg © KMBA / Kluge
| Interview mit Dr. Dieter Weingärtner, Abteilungsleiter Recht im Bundesministerium der Verteidigung
Kompass: Die Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen autorisierten Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe (ISAF) war ein wesentlicher Beitrag Deutschlands zur Implementierung des auf dem zuvor in der Petersberger Konferenz in Gang gesetzten nationalen Versöhnungsprozesses in Afghanistan. So u. a. eine Begründung im Antrag der Bundesregierung vom 21. Dezember 2001 an den Deutschen Bundestag. Welches Konfliktszenario in Afghanistan wurde zum damaligen Zeitpunkt vermutet und angenommen, um völkerrechtlich und mit Blick auf die Rechte und Befugnisse deutscher Soldaten eine Einordnung und Regelung zu erarbeiten?
Dr. Dieter Weingärtner: Die Situation in Afghanistan und mit ihr das angenommene „Konfliktszenario“ einer Stabilisierungsoperation haben sich in den vergangenen Jahren sicherlich verändert. Von den Rechtsgrundlagen her sind die Befugnisse von ISAF bis heute aber praktisch unverändert geblieben. Nach wie vor ermächtigt eine Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen zu allen zur Erfüllung des Mandats notwendigen Maßnahmen („all necessary measures“). Der geltende Bundestagsbeschluss erlaubt wie derjenige aus dem Jahr 2001 „alle erforderlichen Maßnahmen einschließlich der Anwendung militärischer Gewalt“, um den Auftrag – Unterstützung Afghanistans bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit – durchzusetzen.
Welche konkreten Mittel zur Auftragserfüllung notwendig sind, orientiert sich nicht zuletzt an den tatsächlichen Rahmenbedingungen, unter denen der Einsatz stattfindet. Die Sicherheitslage im Einsatzgebiet der Bundeswehr hat sich in letzter Zeit verschlechtert. In einem gefährlicher gewordenen Umfeld ist ein robusteres Vorgehen angemessen. Die mandatierten Befugnisse, die sich in den Einsatzregeln (Rules of Engagement, RoE) widerspiegeln, haben sich jedoch nicht geändert.
Kompass: Nun wurde im Sommer des vergangenen Jahres die Taschenkarte für deutsche Soldatinnen und Soldaten im ISAF-Einsatz neu gefasst. Anzunehmen ist, dass die erste Taschenkarte allem Anschein nicht geeignet war, um in Konflikten vor Ort für rechtliche Sicherheit bei Soldatinnen und Soldaten zu sorgen. Welches waren die Gründe, die zu einer Neufassung führten?
Dr. Dieter Weingärtner: Zweck der Taschenkarte ist es, dem einzelnen Soldaten die Regeln für die Anwendung militärischer Gewalt in knapper Form und für ihn verständlicher Sprache zu verdeutlichen. Mit der Überarbeitung wurde – neben einer inhaltlichen Straffung – das Ziel verfolgt, die Taschenkarte noch praxisgerechter zu gestalten und dabei hervorzuheben, dass militärische Gewalt nicht lediglich in Notwehrsituationen, sondern insgesamt zur Erfüllung des Auftrags eingesetzt werden darf.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang eines noch betonen: Von Rechtsunsicherheit kann keine Rede sein. Ein Soldat, der sich an der Taschenkarte orientiert und die ihm erteilten Befehle und Weisungen einhält, läuft kein Risiko, für seine Handlungen strafrechtlich belangt zu werden. Dass etwa im Fall einer Tötung von Zivilisten an einem Checkpoint Staatsanwälte die Umstände prüfen, ist in einem Rechtsstaat allerdings selbstverständlich. In derartigen Fällen ist die dienstliche Fürsorge für die betroffenen Soldatinnen und Soldaten gewährleistet. Der Dienstherr bietet nicht nur rechtliche Beratung an, er übernimmt auch Anwaltskosten.
Kompass: Zwischenzeitlich – und spätestens nach den Ereignissen von Anfang September 2009 in Kunduz – ist aus dem politischen Raum der Ruf nach rechtlichen Anpassungen gerade mit Blick auf die Rechte und Befugnisse der deutschen Soldatinnen und Soldaten im ISAF-Einsatz stärker geworden. Von „bürgerkriegsähnlichen Zuständen“ ist dabei ebenso die Rede wie von einem „nicht internationalen bewaffneten Konflikt“. Wie wird die Rechtsabteilung im Bundesministerium der Verteidigung darauf reagieren und auf was darf man sich einstellen?
Dr. Dieter Weingärtner: Angesichts der aktuellen Situation im Norden Afghanistans, der erheblich gestiegenen Intensität der Gefechte, scheint mir derzeit auch dort die Schwelle zu einem nicht internationalen bewaffneten Konflikt – umgangssprachlich Bürgerkrieg – überschritten. Unsere im Süden des Landes agierenden Bündnispartner nehmen dies für ihren Einsatzraum ja seit langem an. Dem tragen im Übrigen der Operationsplan und die Einsatzregeln der NATO Rechnung, die auch für die Bundeswehr bisher galten und weiterhin gelten werden. Aus rechtlicher Sicht sehe ich hier daher keinen Anpassungsbedarf.
Juristisch von Bedeutung ist die Frage, ob ein nicht internationaler bewaffneter Konflikt vorliegt, vor allem im Hinblick auf das bei Verstößen anwendbare Regelwerk. Im bewaffneten Konflikt gilt das Völkerstrafgesetzbuch, ansonsten das allgemeine Strafrecht. Dabei handelt es sich jedoch um eine Frage, die nicht das Bundesministerium der Verteidigung, sondern die Strafverfolgungsorgane zu beurteilen haben.
Das Interview führte Josef König.
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