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Recht gehandelt?

Militärpfarrer Heinrich Peter Treier, Katholisches Militärpfarramt Mayen
© KMBA
Nicht nur spektakuläre Fälle lassen auch einer breiteren Öffentlichkeit gewahr werden: Der gesamte Bereich des militärischen Handelns ist von einer inflationär anmutenden Handlungsregulation soldatischer Arbeit durchdrungen. An rechtlicher Verwiesenheit besteht jedenfalls kein Mangel. Rechtliche Kodifikationen, die den Soldaten gerade in multinationalen Einsatzkontexten betreffen, stammen nicht nur aus bodenständiger Quelle. Selbst aus heimatlicher Perspektive sieht sich der Bürger in Uniform konfrontiert mit einer Vielzahl juristischer Quellen, einer Vielfältigkeit der Rechtsinhalte und einer veränderungsgetriebenen Vorläufigkeit der Teilrechtssysteme. Daraus kann eine uneindeutige und unabgestimmte Normlage resultieren.

Die Einsatzsituation kennzeichnet, so die Erfahrung, eine sich eben nicht selbst tragende Rechtssicherheit. Der von einem Gegner asymmetrisch aufgezwungene Standpunkt ausgesprochener Rechtlosigkeit und partieller Rechtsverweigerung erschwert den eigenen Handlungskontext. Soldaten können also subjektiv mit der Unkenntlichkeit und Unverständlichkeit geltender Rechtslagen konfrontiert sein. Die Ungleichzeitigkeit von Recht und Ethik, die nicht nur ein Latenzproblem ist, kann das eigene Gewissen belasten.

Gerechter Friede

Eine Perspektive vom „gerechten Frieden“ jedoch besagt, dass Friede nicht per se einen Rechtszustand herstellt, sondern eine Errungenschaft ist, um die notfalls auch militärisch, d. h. auch unkonventionell, gerungen werden muss. Recht ist nicht schon durch seinen Anspruch gesetzt, sondern unterliegt der Erhaltungsordnung des Menschen, die ihm als Teil seiner Mitschöpfertätigkeit im Führungsfeld göttlicher Gesetze aufgetragen wird. Die Bereitschaft zum Einsatz rechtserhaltender Gewalt weist als partizipative Aufgabe und Bringschuld ganz im Sinne christlicher Feindesliebe in defensiver Absicht darauf hin, den eigenen Rechtsstatus zu schützen, Rechtsverletzungen zu verfolgen sowie Rechtsqualität fortzuentwickeln und weiterzugeben. Gerade weil der Soldat als Person in seiner ganzheitlichen Würde derart existenziell beansprucht wird, bewegt sich sein Auftrag auch rechtlich keinesfalls in einer Routinesituation. Schon dieser Hinweis soll signalisieren, dass es lohnend sein kann wieder zu entdecken, dass der weltanschaulich neutrale Verfassungsstaat gerade auch in seiner rechtlichen Konstitution durch transzendente, d. h. über ihn selbst hinausweisende Setzungen verwirklicht ist. Eine Agenda, die nur auf die Vervollständigung eines fiktiven geschlossenen Gesetzesplans und dessen Nullfehler-Qualität in der Anwendung setzt, wird der von Aristoteles angesprochenen „Vielgestaltigkeit der Gerechtigkeit“ jedoch nicht gerecht.

Der Soldat leistet seinen Dienst in einer Ausnahmesituation, die jedenfalls potenziell den Charakter einer Notlage annimmt. Die Bewältigung einer über das Tötungsverbot hinaus gehenden Selbstverpflichtung des Menschen zur Förderung des Lebens gelingt im militärischen Umfeld über ethische Kompetenzvermittlung. Recht und Ethik stehen hier in einem wechselseitigen Interdependenz- und Überbietungsverhältnis und sind nur als komplementär wahrgenommene Größen wirksam.

Der Aspekt einer ethisch-religiösen Beheimatung weist auch dem Recht eine Vermittlungsrichtung, die dem Soldaten in seinem existenziell kritischen Ereignishorizont gerecht wird, die Zuortbarkeit seiner Handlungen ernst nimmt und Zutrauen in die ethische Kompetenz des Soldaten als Bürger in Uniform ernsthaft in Betracht zieht. Das Recht abstrahiert von der Gesinnung, die Ethik will diese fördern. Gesetze müssen bekannte oder vorhersehbare Sachverhalte umschreiben und haben damit gegenüber Sittlichkeit eher fragmentarischen Charakter. Wenn Ethos den Ort bezeichnet, an dem wir uns zu Hause wissen dürfen und wo personale Gewohnheiten verlässlich gelten, bindet ein berufs- und bereichsspezifisch konfiguriertes Ethos den Menschen als einen nicht vertretbaren Verantwortungsträger in das gesamte militärische Handeln „oikonomisch“ ein. Schon zur Wahrung dieses Erfolgsmomentums gilt es ethisch zu führen – jetzt erst recht.

Militärpfarrer Heinrich Peter Treier,
Katholisches Militärpfarramt Mayen